Negativer Presse zum Trotz: Warum Getreide immer noch Gift für uns ist!

Wissen Sie eigentlich, was uns von der Redaktion richtig wütend macht? Wenn Journalisten ein einzelnes Abstract zu Rate ziehen, um damit Millionen Menschen und ihr persönliches Erleben und Empfinden zu diskreditieren. Sind Ihnen in den letzten Wochen auch die vielen reißerischen Schlagzeilen in den großen Massenmedien aufgefallen: "Studie beweist: Kein Grund für Getreideverzicht!", "Glutenfreie Kost und ihre angeblichen gesundheitlichen Vorzüge sind nur riesiger Absatzmarkt", oder sogar "Glutensensitivität gibt es nur in den Köpfen besonders Empfindlicher".

Innerhalb der einzelnen Artikel wird dann kräftig Stimmung gemacht. Glutensensitivität abseits der Zöliakie gibt es nicht, wir sollen uns doch endlich zusammenreißen, um unseren lieben Mitmenschen nicht das leckere Essen madig zu machen, wir steuern allesamt in eine Essstörung und stützen mit unseren Käufen die milliardenschwere gluten-free mafia!


Haben die Journalisten sich die Studie im Detail angeschaut, oder mit den Autoren gesprochen? Nein. Haben sie sich weitere Untersuchungen vorgenommen, um ihre Erkenntnisse abzusichern? Nein. Haben sie ihrem Verlangen nach reißerischen Schlagzeilen und der Bestätigung ihrer eigenen Vorüberlegungen nachgegeben? Absolut! Dass sie damit sehr viele Menschen verunsichern und in Misskredit bei ihren Mitmenschen bringen ("Die spinnt doch, jetzt isst die nicht mal mehr normales Frühstück mit uns in der Kantine. In Wahrheit hat die bestimmt irgendwelche psychischen Probleme. Ich habe letztens erst im Stern gelesen, dass ...").


Wir möchten deshalb gern versuchen, ihnen etwas Sicherheit zurückzugeben. Sehr viele Leser, also meist Betroffene oder Angehörige von Menschen mit Reizdarmsyndrom, haben uns geschrieben, ob sie nun wieder mehr Getreideprodukte essen können. Deshalb wollen wir heute einmal DIE (einzelne) Studie genauer unter die Lupe nehmen, welche die ganze Lawine losgetreten hat. Danach sollen Sie dann selbst entscheiden, ob das Schlachtfest und die Häme der Journalisten gerechtfertigt war ("Ich habs ja schon immer gewusst! Die spinnen, die Gesundheitsfreaks."



Die Untersuchung im Überblick (oder: das winzige Abstract, das die Journalisten gelesen haben)

Es geht um folgende Untersuchung: Kein Effekt von Gluten auf Patienten mit einer selbst- berichteten Glutensensitivität nach Reduktion von FODMAPs (Biesiekierski et al, 2013).


37 Patienten mit selbst-berichteter Glutensensitivität und Reizdarmsyndrom (nach ROM-III Kriterien), bei vorher ausgeschlossener Zöliakie, wurden zwei Wochen lang auf eine FODMAP-arme Diät gesetzt. Danach bekamen sie jeweils 16g Gluten (high Gluten), 14g Molkeprotein und 2g Gluten (low Gluten) oder 16g Molkeprotein (no Gluten) in ihre Diät eingefügt.


Ergebnis: Während sich die Symtome der Probanden während der FODMAP-Reduktion verbesserten, verschlechterten sie sich nach dem Verzehr von Gluten oder Molkeprotein (welches hier als Placebo diente) gleichermaßen. Biomarker wurden durch die Provokation nicht verändert und nur 8% der Probanden zeigten glutenassoziierte Effekte.


Fazit der Forscher: Gluten zeigte in der Untersuchung keine spezifischen oder dosisabhängigen Effekte auf Patienten mit selbst-berichteter Glutensensitivität während einer FODMAP-Reduktion. Für die verbesserten Symptome wurden in den späteren Diskussionen dann allein die schnell fermentierbaren Kohlenhydrate verantwortlich gemacht.



Bereits die Interpretation ist fraglich ...

Eigentlich ist die Studie ein weiterer eindeutiger Beweis, dass wir Reizdarm-Patienten erheblich von dem Ausschluss von glutenhaltigem Getreide profitieren! Die Symptome der Versuchspatienten verbesserten sich erheblich während der glutenfreien Diät (FODMAP-arm eliminiert automatisch Weizen, Roggen etc.), während sie sich nach der Gabe von Gluten und Whey verschlechterten (hier kann man sicherlich einen Placeboeffekt vermuten; obwohl es fraglich ist, ob man Molkeprotein bei Reizdarmpatienten überhaupt als Placebo ansehen sollte).


Was wurde aber in den Artikeln der großen Zeitschriften gemacht? Kaum einer der Journalisten ging überhaupt auf das FODMAP-Prinzip ein. Die Studie wurde lediglich als Beweis angeführt, es gäbe keine Glutensensitivität. Für viele Reizdarm-Betroffene war das leider ein Freibrief für den Gang zum Bäcker. Warum wurde nicht mehr betont, dass eine glutenfreie Kost die Symptome dieser Patienten verbessert hatte, aber wahrscheinlich aus einem anderen Grund? Das war ja der eigentliche Zweck dieser Untersuchung und ist auch der einzig logische Schluss.


Es ging nicht darum, eine glutenfreie Diät für Reizdarmpatienten zu hinterfragen, sondern das WARUM dahinter zu klären! FODMAPs scheinen dabei eine Rolle zu spielen.


Noch einmal: An der Tatsache, dass sich glutenreduzierte Diäten positiv für uns auswirken, hat sich nichts geändert, denn das low-FODMAP-Prinzip ist der am besten erforschte diätetische Ansatz zur Reduzierung typischer Reizdarm-Symptome. Die als Gegenbeweis von den Journalisten angeführte Studie hat dies nur eindrucksvoll untermauert. FODMAPs sind aber nun einmal vermehrt in Weizen und Co. vertreten.



Der Zeitfaktor und andere Unstimmigkeiten

Recht interessant erscheint uns, dass wenn man sich in die Studie einliest, die Untersuchung eigentlich etwas anders geplant war: Die einzelnen Diäten (high vs. low vs. no) sollten von den Probanden eigentlich sechs Wochen lang durchgehalten werden. Stattdessen beließ man es bei gerade einmal sieben Tagen, da die oben erwähnten 8% innerhalb von drei Tagen so starke Symtome zeigten, dass die Forscher den kürzeren Zeitraum als ausreichend erachteten.


Sieben Tage. Einen wie großen Effekt können wir innerhalb von einer Woche erwarten? Muss der menschliche Organismus auflodern, wie ein Feuer, auf welches man gerade Benzin gegossen hat? Wir wissen, dass Gluten über das Zonulin die tight junctions öffnen und dadurch zu einer hyperpermeablen Darmwand (Leaky Gut Syndrom) führen kann (Drage et al, 2006). Zusätzlich kann Gluten reproduzierbare immunologische Reaktionen produzieren (u.a. Marsh, 1992; Thomas et al, 2006; Carroccio et al, 2012). Getreide hält also Schloss und Schlüssel in seiner Hand, um großen Schaden anzurichten und eventuell sogar Autoimmunität (mit-)zuverursachen (so die Hypothese einiger Wissenschaftler). Doch können solche Effekte in einer einwöchigen Untersuchungsphase gezeigt werden?


Sehr interessant ist auch, dass sich die untersuchten Patienten in einigen Punkten stark von denen in anderen Studien unterschieden. So zeigten nur sehr wenige IGG- AGA (Gliadin-Antikörper). In einer anderen Untersuchung (Volta et al, 2012) wurden hingegen über die Hälfte der Patienten positiv auf IGG- AGA getestet. Die Wissenschaftler um Biesiekierski betonen diese Differenzen zu anderen Ergebnissen in ihrer Arbeit ausdrücklich, aber natürlich gehen solche Bemerkungen in den Leitartikeln der Printmedien einfach unter ... und man konzentriert sich lieber auf den Glutenfrei-Boom und das Wachstum eines Marktes. Interessanterweise scheinen die gleichen Journalisten kein Problem damit zu haben, wenn Nahrungsmittelgroßkonzerne blühen, welche "Lebens"mittel mit synthetischen Zusatzstoffen und gentechnisch veränderten Zutaten vollstopfen. Was ist eigentlich schlimm daran, wenn BIO, glutenfrei und Co. immer beliebter werden? Immerhin verwenden viele der traditionellen Anbieter (bspw. WERZ) hochwertige Zutaten und verzichten vollkommen auf zugesetzte Chemie?



Ein weiterer seltsamer Stolperstein in der Untersuchung ist, dass die Effekte von Gluten nicht abhängig vom HLA- Genotyp der Teilnehmer waren, obwohl andere Wissenschaftler dies mehrfach beim Reizdarm zeigen konnten (bspw. Vazquez-Roque, 2013).


Diesen Unstimmigkeiten sollte erst auf den Grund gegangen werden, bevor man endgültige Schlüsse zieht und den Verbraucher mit nicht gerechtfertigten Schlussfolgerungen erschlägt.



Einer gegen Viele

Besonders fadenscheinig fanden wir, wie es den Journalisten gelungen ist, sich eine Forschungsarbeit herauszupicken, um eine Hypothese zu bestätigen und gleichzeitig viele andere zu ignorieren, die für das Konzept einer Glutensensitivität bei Reizdarm sprechen:


  • Versuche zeigten mehrfach eindeutig, dass Patienten mit Reizdarm von einer glutenfreien Kost profitieren, OHNE dass diese FODMAP-arm war (Vazquez-Roque et al, 2013)
  • Andere doppelblinde und placebokontrollierte Studien zeigten, dass eine Provokation mit Gluten bei einem Drittel der glutenfrei-lebenden Reizdarmpatienten zu signifikanten Problemen führt (Carroccio et al, 2012)
  • Es konnte weiterhin festgestellt werden, dass Patienten mit HLA-DQ2/8- Heterodimer und IGG-AGA besonders gut auf eine glutenfreie Diät ansprechen (Wahnschaffe et al, 2007)


Wie kann es also sein, dass so viele Patienten mit RDS positiv auf eine glutenfreie Diät reagieren (siehe Studien von Vazquez-Roque)? Die Gruppe von Biesiekierski hat sich dazu nie konkret geäußert, aber andere Autoren machten FODMAPs im Getreide verantwortlich. Aber die Versuche der anderen Gruppen waren nur glutenfrei, nicht FODMAP-arm!


Wie passt es in die FODMAP-Hypothese, dass Gluten die Darmpassagezeit verkürzte, sowie zu einer durchlässigeren Schleimhaut führte?


Und warum sollte sich der Erfolg einer diätetischen Intervention anhand des Genotyps vorhersagen lassen, wenn es sich ja "nur" um FODMAPs handelt, vor allem wenn es ein Genotyp ist, welcher als Prädiktor einer Zöliakie herangezogen werden kann?



Und noch eins obendrauf!

Wir kennen nicht nur Gluten und FODMAPs. Getreide enthält noch jede Menge anderer problematischer Nährstoffe oder besser Antinährstoffe. Prominentestes Beispiel sind wahrscheinlich die ATIs, welche kürzlich ebenfalls mit dem Reizdarm in Verbindung gebracht wurden.


Hier mal eine Auswahl:


  1. Gluten
  2. Lektine
  3. Exorphine
  4. Proteaseinhibitoren
  5. azelluläre Kohlenhydrate

Wenn man schon nicht an die Hypothese glaubt, dass Gluten das RDS verstärkt, dann sollte man wenigstens beachten, dass dieses Protein immer in einer Umgebung vorkommt, die mehrfach problematisch ist! Biesiekierski und Kollegen verwendeten reines isoliertes Gluten. Aber niemand würde so etwas im wahren Leben essen ... Wir essen ein Weizenbrötchen, Nudeln usw. und bekommen neben Gluten auch eine gehörige Portion FODMAPs und ATIs obendrauf.



Unser Fazit

  • Die Studie von Biesiekierski und Kollegen weist einige Unstimmigkeiten auf (kurze Zeitdauer, einen sehr geringen Anteil mit Antigliadinantikörpern, kein Einfluss des Genotyps)
  • Einer Studie stehen mehrere entgegen, die auf das Gegenteil hinweisen.
  • Es wurden die Effekte isolierten Glutens getestet. Dieses kommt in unserer Ernährung aber immer als Gesamtpaket vor. FODMAPs wurden bereits als symptomverschlimmernd bei RDS klassifiziert, über ATIs und Co. wird noch diskutiert).

Für uns persönlich ist die angeführte Studie absolut nicht hinreichend, um die Wirksamkeit von Gluten auf den Reizdarm, noch das Nicht-Vorhandensein der Glutensensitivität zu begründen. Eher im Gegenteil, denn allen Teilnehmern ging es während der Glutenelimination plus low-FODMAP am besten!


Und nun sollten Sie sich selbst Gedanken machen, ob es zu Ostern das Hefegebäck mit Weizen- oder Reismehl gibt.


Fröhliche Ostern Ihnen allen!!