Du hast einen Reizdarm? Dann wirf dein Smartphone aus dem Fenster!

Ein bedeutsamer Teil meines eigenen Lebensstils, der meine Gesprächspartner regelmäßig überrascht und manchmal auch geradezu verstört, ist der bewusste und freiwillige Verzicht auf ein Smartphone bzw. jegliche mobile Endgerät. Wie schwer es meinen Mitmenschen fällt, diese Entscheidung nachzuvollziehen, merke ich regelmäßig an der sofort einsetzenden Suche nach möglichen Gründen für dieses sonderbare Verhalten.

Typischerweise werden als erstes finanzielle Abwägungen in Betracht gezogen. Und dies in einer konsumgesteuerten und datengetriebenen Welt, in der man ein Smartphone schon beinahe hinterhergeschmissen bekommt, sobald man ein Girokonto eröffnet, den Internetprovider wechselt oder sich für eine Payback-Karte registriert (auch letztere meide ich aus Überzeugung wie der Teufel das Weihwasser). An dieser Reaktion kann ich ablesen, dass für die meisten Menschen kaum negative Aspekte oder Konsequenzen der Smartphone-Nutzung zu existieren scheinen bzw. für sie der empfundene Nutzen die potenziellen Gefahren des Gerätes deutlich übersteigen muss. Das mobile Endgerät gehört inzwischen ganz selbstverständlich zu ihnen, so wie die Brille oder Kontaktlinsen zu einem Kurzsichtigen. Was könnten also stechende Argumente sein, um sich dem technologischen Fortschritt dermaßen in den Weg zu stellen?

 

Dass Smartphones und eine überbordende Digitalisierung sehr wohl viele Probleme mit sich bringen, wird unter Psychologen, Ärzten und Neurowissenschaftlern schon lange debattiert[1]. So ist die intensive Nutzung u.a. mit einer reduzierten Emotionsregulation, Impulskontrolle, herabgesetzten kognitiven Leistungen und einem geringeren Selbstvertrauen assoziiert. Darüber hinaus führt sie häufig zu Schlafstörungen, Schmerzen des Bewegungsapparates, Migräne, ungesunden Ernährungsmustern und einer nachhaltigen Veränderung der grauen Substanz des Gehirns. Letzteres ist nicht weiter verwunderlich, da diese Art des Hirngewebes u.a. für die Informationsverarbeitung verantwortlich ist. Allerdings ist sie eben auch in die Emotionsregulation oder Motivationssteuerung involviert.

Schließlich sind zahllose Komorbiditäten mit der intensiven oder exzessiven Nutzung mobiler Endgeräte verzahnt. Darunter Depressionen, Angst- und Zwangsstörungen sowie verschiedene Abhängigkeitserkrankungen. So weit, so vertraut. (Und bereits an dieser Stelle könnten wir fragen, ob diese signifikanten Zusammenhänge, welche in vielen Fällen nicht nur assoziativ, sondern auch experimentell belegbar sind, nicht ausreichten, um einen Verzicht zu rechtfertigen.)

 

Doch heute möchte ich deinen Blick noch einmal etwas weiten. Wir werden uns in diesem Artikel mit den Auswirkungen des Smartphones auf deinen Verdauungstrakt beschäftigen. Und ich verspreche dir schon einmal, dass du sicher überrascht sein wirst, wie stark der negative Einfluss der kleinen Gehirn-Krücke auf deine Darmgesundheit ist! 

 

Inhaltsverzeichnis: Das Smartphone als Ursache des Reizdarmsyndroms


Alle reden beim Reizdarm über gesunde Ernährung, aber niemand über das Smartphone - ein folgenschwerer Fehler!

Als Reizdarmpatient kennst du die gängigsten Empfehlungen zum Umgang mit den quälenden Bauchbeschwerden: Regelmäßige Mahlzeiten essen, FODMAPs reduzieren, genug lösliche Ballaststoffe einbeziehen, nicht zu viel Alkohol und Koffein konsumieren ... Der Großteil der Therapieempfehlungen beim Reizdarmsyndrom hat etwas mit unserer Ernährung oder unserem Essverhalten zu tun. Und das ist auch durchaus gerechtfertigt, denn die Mehrheit der Betroffenen bringt die Beschwerden mit dem Konsum von Mahlzeiten in Verbindung[2] und spezifische Ernährungstherapien wie die Low-FODMAP-Diät oder die stärkearme Kost lindern die Symptome des Reizdarms deutlich[3][4].

Allerdings besteht eine gewisse Tendenz der Betroffenen, pharmakologische Wirkstoffe und Ernährungsstrategien gegenüber anderen evidenz-basierten und erfolgreichen Behandlungsoptionen zu präferieren. Dies hat sicher auch damit zu tun, dass die Auswirkungen der Nahrungsaufnahme auf den Gastrointestinaltrakt bei einer Verdauungserkrankung wie dem Reizdarmsyndrom direkt logisch erwartbar sind, während sich der Zusammenhang mit Bewegung, Entspannungsverfahren oder dem Schlafverhalten leider nicht direkt erschließt.

 

Dieser Bias zugunsten der Ernährungsfaktoren ist aber ein beträchtlicher Fehler, der nicht ohne Konsequenzen bleibt. Meiner Einschätzung und Erfahrung nach bringen sich ein Großteil der Reizdarmpatienten damit um die größtmöglichen Fortschritte.

 

Doch was hat das alles mit deinem Smartphone zu tun? Ganz einfach: Die intensive Nutzung eines digitalen Endgerätes greift massiv in gleich mehrere Lebensstilvariablen ungünstig ein, welche direkt mit deiner Erkrankung verbunden sind. Und die negativen Auswirkungen sind teils dramatischer als ein katastrophaler Ernährungsstil mit Fast-Food, Zucker und jeder Menge Zusatzstoffen! 

 

Die intensive Nutzung deines Smartphones ist problematischer für deinen Darm als unregelmäßige oder ungesunde Mahlzeiten

Grafisches Abstract der Erhebung von Cinquetti et al. (2021): 31% der befragten Schüler litten unter einer funktionellen Verdauungserkrankung. Das Smartphone verdoppelte das Risiko an einem Reizdarm zu leiden (Odds Ratio 2.02).
Abb1: In einer Untersuchung an 1.500 Heranwachsenden verdoppelte sich die Wahrscheinlichkeit einer Verdauungserkrankung mit der intensiveren Nutzung des Smartphones. Letzteres war ein größeres Risiko als ungesunde Ernährung. Quelle: Cinquetti et al.,2021
Zwischen März und Mai des Jahres 2019 befragten italienische Wissenschaftler mittels validierter Skalen über 1.500 Jugendliche an sieben Mittelschulen bezüglich ihrer Verdauungsbeschwerden[5]. Ziel der Studie war es, herauszuarbeiten, welche Lebensstilfaktoren mit einem erhöhten Risiko für funktionelle gastrointestinale Erkrankungen einhergehen. Eingesetzt wurden u.a. die ROM-IV-Screenings, also die verbreitetsten Kriterien zur Diagnostizierung des Reizdarmsyndroms und weiterer funktioneller Magen-Darm-Beschwerden. 

 

Als erstes unschönes Ergebnis muss festgehalten werden, dass fast jeder dritte Heranwachsende die Diagnosekriterien für mindestens eine funktionelle Verdauungserkrankung erfüllte. Auch diese Studie unterstreicht damit den Trend einer deutlich zunehmenden Prävalenz dieser Krankheiten, insbesondere unter jungen Menschen. Neun Prozent dieser Kohorte litten sogar unter zwei oder mehr dieser Störungen. Zu den am häufigsten erfassten Erkrankungen zählten die funktionelle Verstopfung, der Reizmagen und natürlich das Reizdarmsyndrom. 

 

Was die Risikofaktoren für die funktionellen Magen-Darm-Erkrankungen anbelangt, bestätigte die italienische Erhebung bereits gut etablierte Fakten. Die Wahrscheinlichkeit an einem Reizmagen oder einem Reizdarm zu leiden wurde erhöht durch u.a.: 

  1. das weibliche Geschlecht (OR=1.64)
  2.  das Auslassen von Mahlzeiten bzw. des Frühstücks (OR=1.50)
  3. nur geringe körperliche Aktivität (OR=1.47)
  4. das Meiden von Obst und Gemüse (OR=1.66)
  5. der tägliche Verzehr von Nudeln und anderen Teigprodukten (OR=1.41)

Bei diesen Variablen handelt es sich teilweise um die am besten belegten Risikofaktoren mit den stärksten Auswirkungen auf den Reizdarm. So ist beispielsweise das Weglassen des täglichen Frühstücks in unzähligen Studien mit häufigeren und stärkeren Reizdarmbeschwerden assoziiert[6]. Ähnliches lässt sich für die mangelnde Bewegung sagen]7}.

 

Was allerdings wirklich überraschte: In jener Subgruppe, welche als Smartphone-abhängig kategorisiert worden war (sage und schreibe 30%), verdoppelte sich die Wahrscheinlichkeit einer funktionellen Magen-Darm-Erkrankung. Die intensive oder übermäßige Nutzung des Smartphones stach also die etabliertesten und einflussreichsten Risikofaktoren aus!

Dieser Zusammenhang war graduell, denn jene weiteren 38%, welche ein hohes Risiko für eine Smartphone-Abhängigkeit bescheinigt bekamen, zeigten ebenfalls eine Zunahme der Wahrscheinlichkeit gegenüber "Normalnutzern" und Schülern ohne Smartphone. 

 

Lass es dir bitte noch einmal auf der Zunge zergehen: 68% der über 1.500 befragten Schüler wurden als abhängig oder mit einem hohen Risiko für eine zukünftige Abhängigkeit kategorisiert. (Wir reden von Kindern und Jugendlichen zwischen 10 und 14 Jahren.) Diese Kategorisierung verdoppelte die Wahrscheinlichkeit für Reizmagen und Reizdarmsyndrom und überstieg damit die Auswirkungen ungesunder Ernährung oder eines ausgeprägten Bewegungsmangels. Ich weiß gar nicht so recht, welchen Befund ich als bedrohlicher einschätzen sollte. 

 

Das gilt ja aber nur für Smartphone-Süchtige ...

Das Argument, welches mir hierzu am häufigsten in Leserbriefen oder Gesprächen begegnet lautet, dass die bedenklichen Befunde zu psychiatrischen Erkrankungen, der Impulskontrolle oder eben auch den Darmerkrankungen lediglich bei Abhängigkeit und Sucht aufträten. Bei einer "normalen" Nutzung des Smartphones seien diese sicherlich kein oder nur ein Rand-Thema. 

Und interessanterweise scheinen nahezu alle meine Gesprächspartner für sich in Anspruch zu nehmen, dass ihr Nutzerverhalten "normal" sei. Doch wenn ich das mit den Daten aus Befragungen und aus Datentrackerapps (Objektivität) abgleiche, kann das einfach nicht stimmen!

 

Denn nicht nur die oben beschriebene Erhebung bescheinigte sage und schreibe 59% bzw. 68% der Teilnehmer ein mindestens problematisches Verhältnis zu ihrem Smartphone (Randnotiz: 10% besaßen noch gar keins). Wir finden ähnliche Relationen unter angehenden Medizinern[8], Studenten der Sozialwissenschaften[9] und vielen anderen, ganz normalen und repräsentativen Bevölkerungsgruppen. Unter den angehenden Sozialwissenschaftlern betrug die durchschnittliche(!) tägliche Smartphone-Nutzungsdauer mehr als neun Stunden. Eine Abhängigkeit vom Smartphone wurde der Hälfte der Probanden zugeschrieben. 

 

Wie kann es also sein, dass sich die absolute Mehrheit der Bevölkerung ein normales Nutzerverhalten zuschreibt, während wissenschaftliche Erhebungen immer wieder Abhängigkeitsraten von 25% bis 50% berichten, zu denen sich noch ein erheblicher Prozentsatz mit höherem Risiko oder problematischem Verhalten gesellt? Könnte es vielleicht daran liegen, dass den meisten Menschen überhaupt nicht klar ist, was genau eine problematische Nutzung des mobilen Endgeräts ist? 

 

Beantworte diese Fragen einmal ganz ehrlich!

In den meisten wissenschaftlichen Erhebungen wird das Konstrukt der Smartphone-Abhängigkeit mittels validierter Selbsteinschätzungs-Instrumente erfasst. Hierzu gehört prominent die Smartphone-Addiction-Scale (SAS) in ihren verschiedenen Varianten. Zu den von dir einschätzbaren Items gehören u.a. folgende und ähnliche Aussagen:
  1. Ich muss an mein Smartphone denken, auch wenn ich es gerade nicht nutze. 
  2. Ich verschiebe manchmal andere geplante Dinge, weil ich mein Smartphone nutze.
  3. Es fällt mir schwer, mich in der Klasse oder auf Arbeit zu konzentrieren, weil ich durch mein Smartphone abgelenkt bin. 
  4. Ich benutze mein Smartphone manchmal länger, als ich es eigentlich geplant hatte. 
  5. Ich checke mein Smartphone gewohnheitsmäßig, um keine E-Mails, Social-Media-Posts etc. zu verpassen. 
  6. Es fällt mir auch am Abend oder im Urlaub schwer, auf mein Smartphone zu verzichten. 
  7. Ich schaue kurz nach dem Aufwachen oder vor dem Zubettgehen auf mein Smartphone.
  8. Ich nehme das Smartphone mit zum Sport, auf die Toilette oder ins Badezimmer. 

Und jetzt einmal Hand aufs Herz: Welche dieser Aussagen kannst du klipp und klar verneinen und welchen müsstest du deutlich zustimmen? 

 

Der Grad zwischen manifester Smartphone-Abhängigkeit und problematischem Nutzungsverhalten ist sehr schmal. Und nur weil etwas in unserer Kultur weit verbreitet ist, muss es noch lange nicht "normal" sein (ein anderes Beispiel hierfür wäre das Übergewicht in der westlichen Welt).   

 

Und um es für dich vielleicht noch etwas greifbarer zu machen: Im wissenschaftlichen Kontext wird eine Smartphone-Nutzungszeit von über vier Stunden pro Tag als problematisch für die menschliche Gesundheit und Psyche gewertet[10][11]. Bewegst du dich selbst noch in diesem Rahmen? 

 

Kann es nicht sein, dass Reizdarmpatienten das Smartphone aufgrund sozialer Isolation häufiger nutzen als gesunde Menschen?

Da ich weiß, dass viele meiner Leser gut gebildet sind oder über einen medizinischen Hintergrund verfügen, wirst du nun sicherlich entgegnen wollen, dass es sich bei den hier geschilderten Befunden um nichts weiter handele, als bloße Assoziationen. Der Fakt, dass wir mehr funktionelle Magen-Darm-Erkrankungen unter den Smartphone-Abhängigen finden, könnte schließlich ganz unterschiedliche Ursachen haben. So wäre es beispielsweise denkbar, dass Reizdarm-Betroffene, die aufgrund ihrer Beschwerden erwiesenermaßen häufiger soziale Situationen wie Kino, Fitnessstudio oder den Besuch eines Restaurants vermeiden[12][13], ihr Smartphone schlicht und ergreifend als Ausgleich für diese entgangenen Vergnügungen nutzen. Und ich bin mir recht sicher, dass dies auch manchmal der Fall ist.
Aber was ist denn nun Huhn, und was ist Ei? 

 

Zum Glück sind wir durch neuere Untersuchungsmethoden nicht mehr ausschließlich auf epidemiologische Daten angewiesen. Und diese neuen Möglichkeiten der Analyse kausaler Zusammenhänge bestätigen das Smartphone tatsächlich als Ursache für Reizdarmsymptome

 

Mendelsche Randomisierung bestätigt Smartphone als Ursache für Reizdarmbeschwerden

2025 publizierten chinesische Wissenschaftler eine Mendelsche Randomisierung zur Abschätzung von Risikofaktoren für das Reizdarmsyndrom[14]. Die Mendelsche Randomisierung ist ein heute gut etabliertes Verfahren zum Beleg kausaler Zusammenhänge im Rahmen eines Krankheitsgeschehens. Sie basiert auf dem 2. Mendelschen Gesetz, welches postuliert, dass genetische Varianten unabhängig voneinander sind. Dies ermöglicht "natürliche" randomisierte kontrollierte Studien auf der Grundlage genetischer Varianten, welche zudem theoretisch frei von Störvariablen sind. Die chinesische Studie verwendete hierfür große GWAS-Datensätze (genome wide association study). So stammten die genetischen Varianten (SNPs), welche mit dem Reizdarm assoziiert sind, aus einer Untersuchung von knapp einer halben Million europäischer Probanden. 

 

Schematische Darstellung der Mendelschen Randomisierung. Dargestellt ist das kausale Verhältnis zwischen genetischen Varianten (SNPs), genetisch determinierten Verhaltensweisen und dem Ergebnis, sprich dem Reizdarmsyndrom.
Abb2: Prinzip der Mendelschen Randomisierung: Instrumentelle Variablen (genetische Varianten) - Exposure (Verhalten, z.B. Smartphone-Nutzung) - Outcome (Ergebnis, Reizdarmsyndrom). Quelle: Chu et al.,2025.

Um in die Mendelsche Analyse einbezogen zu werden, müssen die genetischen Varianten drei Bedigungen erfüllen (siehe Abbildung):

  1. Sie müssen eine starke Verbindung zum jeweiligen Verhalten (z.B. Smartphone-Nutzung) zeigen. 
  2. Sie müssen unabhängig von anderen Variablen sein, welche das Verhältnis zwischen Verhalten und Reizdarm verändern könnten.
  3. Sie dürfen ihren Einfluss auf den Reizdarm ausschließlich über das Verhalten ausüben, nie direkt. 

Bei der unifaktoriellen Mendelschen Randomisierung kristallisierten sich sieben Risikofaktoren mit kausalen Zusammenhängen für das Reizdarmsyndrom heraus. Der stärkste negative Einflussfaktor waren Schlafstörungen, doch diesen folgte überraschenderweise die wöchentliche Smartphone-Nutzungszeit

 

Doch jetzt wird es erst richtig spannend! Typischerweise wird eine umgekehrte Mendelsche Randomisierung durchgeführt, um eine bidirektionale Beeinflussung von Verhalten und Reizdarm auszuschließen. Die genetischen Prädiktoren für das Reizdarmsyndrom wurden also zu den instrumentellen Variablen, der Reizdarm selbst zum Risikofaktor und die Verhaltensweisen zum Ergebnis umdefiniert. Das Reizdarmsyndrom zeigte dabei einzig und allein einen kausalen Einfluss auf die Schlafstörungen. Wir können also in diesem Fall von einem Kreislauf sprechen: Die psychischen und biologischen Abweichungen des Reizdarms erzeugen Schlafstörungen und Schlafstörungen befeuern die Pathogenese des Reizdarmsyndroms.

Allerdings begünstigte das Reizdarmsyndrom nicht eine längere Nutzungsdauer des Smartphones, so dass wir von einem klassischen ursächlichen Zusammenhang ausgehen können. Die übermäßige Nutzung deines Smartphones erzeugt die typischen Darmbeschwerden. 

 

Danach wurden die sieben Risikofaktoren in eine multifaktorielle Variante der Analyse eingespeist, um zu prüfen, wie sich diese im Zusammenspiel auf das Reizdarmsyndrom auswirken. Dabei zeigten Schlafstörungen und die Smartphone-Nutzungsdauer einen direkten negativen Einfluss auf den Reizdarm, während BMI, Rauchen und andere Faktoren nicht mehr signifikant waren. Auch wenn die Ergebnisse für typische Störvariablen kontrolliert wurden, blieb dieses Ergebnis robust. 

 

Anhand des folgenden Forest-Plots kannst du die erhobenen Zusammenhänge noch einmal grafisch nachvollziehen. Eine Verschiebung nach rechts beschreibt dabei die Erhöhung des Reizdarm-Risikos.

 

Gezeigt wird die grafische Darstellung der Ergebnisse der Mendelschen Randomisierung mittels Forest Plot. Schlafstörungen und Smartphone-Nutzungszeit wirken sich direkt negativ und kausal auf den Reizdarm aus (OR=1.43 bzw. 1.46)
Abb3: Forest-Plot zur Darstellung der kausalen Zusammenhänge von Verhaltens-Risikofaktoren und Reizdarmsyndrom. Quelle: Chu et al.,2025.

Wie wird dein Smartphone zum Reizdarm-Trigger?

Die übermäßige Nutzung deines Smartphones ist also (mit-)verantwortlich für deine Reizdarmbeschwerden. Doch warum ist das der Fall? Aus den bisher verfügbaren Daten lassen sich zwei Hauptfaktoren extrahieren.

 

Dein Smartphone torpediert deine zirkadiane Rhythmik

Aus der multifaktoriellen Mendelschen Randomisierung wurde ersichtlich, dass sich die Smartphone-Nutzungsdauer und die Schlafstörungen gegenseitig in ihren negativen Auswirkungen auf den Reizdarm potenzieren.

Schlafstörungen sind einer der bedeutsamsten und anerkanntesten Risikofaktoren für das Reizdarmsyndrom[14]. Bereits kleinste Störungen der zirkadianen Rhythmen (also der Wach-Schlaf-Zyklen) sind mit ungünstigen Veränderungen von Motilität und Sensitivität des Magen-Darm-Traktes, aber auch des Mikrobioms assoziiert und lassen sich im Kontext der allermeisten chronischen Darmerkrankungen nachweisen[15]. Die Verbesserung von Schlafdauer und -qualität kann die Entwicklung eines Reizdarms entsprechend verhindern oder bestehende Symptome deutlich lindern[16].

 

Dein Smartphone kommt ins Spiel, weil es heute, gemeinsam mit dem von uns allen geliebten Koffein, der Hauptdisruptor deiner zirkadianen Rhythmik ist[17]. Es verändert nicht nur den Ausstoß des Stresshormons Cortisol, sondern auch die nächtlichen Melatoninkonzentrationen, die Gehirnwellendominanz oder die Vasodilatation und hierüber bspw. die Hauttemperatur. Dadurch verändert das Smartphone die Schlafeffizienz, die Durchschlafdauer, Tiefschlafphasen und auch die subjektive Schlafqualität ("War dein Schlaf gestern nacht erholsam?")[18]. 

Der Unterschied zum Koffein ist allerdings, dass die meisten Menschen zumindest eine Idee davon haben, dass zwei Tassen Espresso vor dem Zubettgehen nicht so toll für die Nachtruhe sind. Eine Runde TikTok, YouTube oder Instagram scheint da deutlich weniger Bedenken zu provozieren ... 

 

Gern möchte ich noch auf zwei gut gepflegte Mythen aus diesem Kontext eingehen: Die negativen Auswirkungen des Smartphones auf die Schlafqualität und -dauer sind unabhängig vom sogenannten Chronotyp (Lerche vs. Eule) und der individuellen Schlafdauer. Auch wenn du dich in den späten Abendstunden am wohlsten fühlst, ist dies also keine Ausrede für regelmäßige nächtliche Bildschirmeinheiten! Und nein, auch Filter auf deinem Gerät oder spezielle Brillen, welche den Anteil blauen Lichtes reduzieren, heben die beschriebenen negativen Konsequenzen nicht vollständig auf[17].

 

Dein Smartphone stresst dich ohne Ende

Die zweite Hauptangriffslinie auf deinen Reizdarm ist deine mentale Gesundheit, denn das Reizdarmsyndrom ist eine stressassoziierte Erkrankung. Aus zahlreichen Untersuchungen wissen wir, dass chronischer psychologischer Stress die Entstehung eines Reizdarms (bspw. als Folge einer Gastroenteritis) begünstigen[19] oder die Beschwerden des Reizdarms deutlich verstärken kann[20]. Zudem gehören psychiatrische Komorbiditäten wie Angsterkrankungen, Depressionen etc. zu den typischen Begleiterscheinungen der Erkrankung. In repräsentativen Erhebungen erfüllen teilweise über 90% der Reizdarm-Probanden die Kriterien für eine solche psychiatrische Diagnose[21]. 

 

Und wie bereits zu Anfang dieses Artikels erwähnt, verstärkt die intensive Nutzung des Smartphones alle diese Phänomene massiv[1][22]. Aber das Gute daran: Bereits eine dreiwöchige Reduktion der täglichen Nutzungszeit auf unter zwei Stunden verbessert depressive Verstimmungen, Stress- und Angstscores sowie die Schlafqualität (Zusammenhang und Relevanz siehe oben!) signifikant[23]. 

 

Bekommst du also dein Nutzerverhalten in den Griff, profitieren davon gleich zwei Ebenen, die sich extrem negativ auf deinen Darm auswirken: die zirkadiane Rhythmik und deine mentale Gesundheit! 

 

Wie könnten mögliche Lösungen aussehen?

Natürlich musst du den von mir in der Überschrift formulierten Vorschlag nicht wörtlich nehmen (Obwohl es dafür gute Gründe gäbe!). Aber du bist ein erwachsener und verantwortungsbewusster Mensch und nur du kennst deine Lebens- und Arbeitsbedingungen, Bedürfnisse und Leidenschaften. Und deshalb musst du selbst herausfinden, welcher Umgang mit dem Smartphone für dich gewinnbringend oder eben tolerierbar ist. Trotzdem möchte ich dir abschließend noch ein paar Ideen an die Hand geben, wie du die negativen Auswirkungen des Smartphones auf deinen Darm reduzieren kannst. 
  1. Du machst es wie ich und verzichtest freiwillig vollständig (Und du wirst merken: Es ist nicht nur möglich, sondern fühlt sich sogar gut an.) 
  2. Du reduzierst die tägliche Nutzungsdauer auf maximal zwei Stunden. Nahezu jedes Smartphone verfügt inzwischen über entsprechende Einstellungen.  
  3. Vermeide eine Nutzung des Smartphones am Abend, außer du nutzt es ausschließlich zum Telefonieren. 
  4. Erstelle eine Whitelist und nutze das Gerät einmal ausschließlich so, wie es gedacht war: Telefonate, Mails, meinetwegen noch Routenplaner etc. Blockiere für einige Wochen einmal konsequent alle Entertainment-, News- und Social-Media-Seiten und du wirst sehen, wie langweilig das blöde Ding doch eigentlich ist. 

Und natürlich würde ich mich über deine Rückmeldung freuen, wie du deine neu gewonnene Freiheit nutzt und wie sich diese für deine Darmgesundheit auszahlt! Ich weiß von einigen Klienten, die nahezu schockiert darüber waren, wie viel abendliche Zeit ihnen plötzlich für Entspannung, Yoga oder ihre Liebsten zur Verfügung stand, nachdem sie sich ein Smartphone-Verbot nach dem Abendessen auferlegt hatten. Und seien wir einmal ehrlich: Liebe, Zuspruch, Trost, Bestärkung sowie der Kontakt und Austausch mit wirklichen Menschen ist das, was Menschen zu einem glücklichen Leben wirklich brauchen. Alles andere ist bloße Manipulation und Ausbeutung deiner Dopamin-Rezeptoren ... 

 

Mit einem herzlichen "Willkommen zurück im analogen, wirklichen Leben!"

dein Thomas

 

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Literaturverzeichnis

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11 Karila L, Scher N, Draghi C, Lichte D, Darmon I, Boudabous H, Lamallem H, Bauduceau O, Bollet M, Toledano A. Understanding Problematic Smartphone and Social Media Use Among Adults in France: Cross-Sectional Survey Study. JMIR Ment Health. 2025 Mar 6;12:e63431. doi: 10.2196/63431. PMID: 40047899; PMCID: PMC11905869.

 

12 Geller S, Levy S, Avitsur R. Psychological distress in individuals with irritable bowel syndrome: the roles of body image and self-criticism. Health Psychol Behav Med. 2024 Mar 28;12(1):2334466. doi: 10.1080/21642850.2024.2334466. PMID: 38562654; PMCID: PMC10984236.

 

13 Bonnert M, Olén O, Bjureberg J, Lalouni M, Hedman-Lagerlöf E, Serlachius E, Ljótsson B. The role of avoidance behavior in the treatment of adolescents with irritable bowel syndrome: A mediation analysis. Behav Res Ther. 2018 Jun;105:27-35. doi: 10.1016/j.brat.2018.03.006. Epub 2018 Mar 28. PMID: 29614378.

 

14 Balikji S, Mackus M, Brookhuis KA, Garssen J, Kraneveld AD, Roth T, Verster JC. The Association of Insomnia, Perceived Immune Functioning, and Irritable Bowel Syndrome Complaints. J Clin Med. 2018 Aug 24;7(9):238. doi: 10.3390/jcm7090238. PMID: 30149521; PMCID: PMC6162819.

 

15 Orr WC, Fass R, Sundaram SS, Scheimann AO. The effect of sleep on gastrointestinal functioning in common digestive diseases. Lancet Gastroenterol Hepatol. 2020 Jun;5(6):616-624. doi: 10.1016/S2468-1253(19)30412-1. PMID: 32416862.

 

16 Bao W, Qi L, Bao Y, Wang S, Li W. Alleviating insomnia should decrease the risk of irritable bowel syndrome: Evidence from Mendelian randomization. Front Pharmacol. 2022 Aug 16;13:900788. doi: 10.3389/fphar.2022.900788. PMID: 36071849; PMCID: PMC9442781.

 

17 Höhn C, Schmid SR, Plamberger CP, Bothe K, Angerer M, Gruber G, Pletzer B, Hoedlmoser K. Preliminary Results: The Impact of Smartphone Use and Short-Wavelength Light during the Evening on Circadian Rhythm, Sleep and Alertness. Clocks Sleep. 2021 Jan 22;3(1):66-86. doi: 10.3390/clockssleep3010005. PMID: 33499010; PMCID: PMC7838958.

 

18 Goel A, Moinuddin A, Tiwari R, Sethi Y, Suhail MK, Mohan A, Kaka N, Sarthi P, Dutt R, Ahmad SF, Attia SM, Emran TB, Chopra H, Greig NH. Effect of Smartphone Use on Sleep in Undergraduate Medical Students: A Cross-Sectional Study. Healthcare (Basel). 2023 Nov 2;11(21):2891. doi: 10.3390/healthcare11212891. PMID: 37958035; PMCID: PMC10649238.

 

19 Chang L. The role of stress on physiologic responses and clinical symptoms in irritable bowel syndrome. Gastroenterology. 2011 Mar;140(3):761-5. doi: 10.1053/j.gastro.2011.01.032. Epub 2011 Jan 19. PMID: 21256129; PMCID: PMC3039211.

 

20 Dancey CP, Taghavi M, Fox RJ. The relationship between daily stress and symptoms of irritable bowel: a time-series approach. J Psychosom Res. 1998 May;44(5):537-45. doi: 10.1016/s0022-3999(97)00255-9. PMID: 9623874.

 

21 Whitehead WE, Palsson O, Jones KR. Systematic review of the comorbidity of irritable bowel syndrome with other disorders: what are the causes and implications? Gastroenterology. 2002 Apr;122(4):1140-56. doi: 10.1053/gast.2002.32392. PMID: 11910364.

 

22 Khan A, McLeod G, Hidajat T, Edwards EJ. Excessive Smartphone Use is Associated with Depression, Anxiety, Stress, and Sleep Quality of Australian Adults. J Med Syst. 2023 Oct 20;47(1):109. doi: 10.1007/s10916-023-02005-3. PMID: 37858009; PMCID: PMC10587281.

 

23 Pieh C, Humer E, Hoenigl A, Schwab J, Mayerhofer D, Dale R, Haider K. Smartphone screen time reduction improves mental health: a randomized controlled trial. BMC Med. 2025 Feb 21;23(1):107. doi: 10.1186/s12916-025-03944-z. PMID: 39985031; PMCID: PMC11846175.

Abbildungsverzeichnis

Abb1

Cinquetti M, Biasin M, Ventimiglia M, Balanzoni L, Signorelli D, Pietrobelli A. Functional gastrointestinal disorders and smartphone use in adolescents. Clin Exp Pediatr. 2021 Sep;64(9):494-496. doi: 10.3345/cep.2020.01326. Epub 2020 Nov 9. PMID: 33171037; PMCID: PMC8426096.

 

Abb2

Chu H, Zhong Y, Zhao J, Shan Y, Fang X. Unravelling behavioural contributions to IBS risk: evidence from univariate and multivariate Mendelian randomisation. J Glob Health. 2025 Apr 11;15:04112. doi: 10.7189/jogh.15.04112. PMID: 40214127; PMCID: PMC11987576.

 

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