Chronisches Erschöpfungssyndrom, Psychotherapie und Psychosomatik - was für ein Thema! Der junge Perseus hätte sich nicht mehr vor den versteinernden Augen der Medusa fürchten können, wie ich vor dem Beackern dieses undankbaren Feldes. Denn aus der psychotherapeutischen Arbeit mit Betroffenen und noch viel mehr Leserzuschriften weiß ich, wie emotional aufgeladen dieser Zusammenhang ist und welcher enorme Zündstoff in ihm steckt. Doch gerade dann ist es oft nötig, ein paar nüchterne, die Köpfe kühlende Fakten in die Diskussion einfließen zu lassen. Schließlich entstehen tiefe Gräben und (über-)emotionale Reaktionen genau dort, wo es an tieferer Kenntnis mangelt - nicht nur beim Thema CFS und Psyche.
Sowohl CFS/ME als auch Long Covid, die sich in vielen Facetten überschneiden, aber keinesfalls identisch sind, sind enorm körperliche Erfahrungen. Die massive Erschöpfung nach kleinsten Anstrengungen, die geschwollenen Lymphknoten, die Kopf- und Gelenkschmerzen, die neuronalen Missempfindungen oder gar Ausfälle sowie die gastrointestinalen Beschwerden sind absolut real und können einem das Leben buchstäblich zur Hölle machen. Für viele CFS-Betroffene ist es schlicht und ergreifend nicht vorstellbar, dass ihre Psyche etwas mit diesen ganz und gar körperlichen Phänomenen zu tun haben könnte.
Das hat unter anderem auch damit zu tun, dass das Chronische Erschöpfungssyndrom über Jahrzehnte als psychogene (= überwiegend durch psychologische Prozesse erzeugte) Erkrankung gelabelt worden war. Hier kann sich ein genauerer Blick auf das verwandte Konzept der Neurasthenie lohnen[1][2]. Gestört wurde diese geteilte Wahrnehmung einer auch "kulturell-geprägten" Erkrankung erst durch sich in den 1980ern häufende Befunde, welche zeigten, dass sich das Chronische Erschöpfungssyndrom regelmäßig nach Infektionen mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) entspann[3]. Die Euphorie über die neu entdeckte "Ursache" der Erkrankung ging sogar so weit, dass man zeitweise die Diagnose "Chronisches Epstein-Barr-Virus-Syndrom" synonym für CFS verwendete[4].
Kein Wunder also, dass die Betroffenen von CFS/ME nicht allzu viel mit der Psychoschiene zu tun haben möchten. Sie sind erst einmal froh darüber, die Stigmata der "imaginierten Symptome" und "neurotischen Persönlichkeit" losgeworden zu sein. Diese geschichtliche Entwicklung teilen sie übrigens mit den Reizdarmpatienten, welche sich ein ganz ähnliches Framing gefallen lassen mussten, bevor die Wissenschaftler über Mastzellhyperplasie, Darmbarriere und das gastrointestinale Serotoninsystem referierten.
Ein Beleg für diese Hypothese ist für mich, dass Patienten mit Long Covid deutlich offener und entspannter auf den Vorschlag einer psychosomatischen Behandlung oder Psychotherapie reagieren. Ihre Krankheitsidentität wird dadurch schlicht nicht gefährdet, da die Verbreitung der Diagnose durch eine breite Berichterstattung rund um Corona und auch postvirale Erkrankungen begleitet wurde. Obwohl heute also hoffentlich jeder weiß, dass Long Covid handfeste immunologische Ursachen hat, müssen sich Patienten mit einem ebenfalls oft postviral verursachten Chronischen Erschöpfungssyndrom immer noch gefallen lassen, von ihren Ärzten als "Drückeberger", "Mimosen" oder "Hypochonder" stigmatisiert zu werden[5].
Und obwohl ich diese Frustration als ehemals Betroffener nur zu gut nachvollziehen kann, möchte ich dir mitteilen, dass diese Abwehrhaltung gegenüber psychosomatischen und psychotherapeutischen Behandlungsansätzen bei CFS deinen Weg hin zu einem besseren Wohlbefinden sabotieren kann. Nicht umsonst gehören psychotherapeutische Verfahren und vor allem auch die kognitive Umstrukturierung zu den effektivsten Verfahren zur Linderung der Beschwerden[6][7]. Die Errungenschaften der Psychoneuroimmunologie zeigen uns, dass letztendlich jede Erkrankung auf irgendeine Art und Weise mit der psychischen Ebene verschalten und somit auch psychosomatisch ist. Die heute leider noch häufig im schulmedizinischen Betrieb anzutreffende Trennung zwischen biologisch und psychologisch gehört eigentlich längst in die Mottenkiste der Ärzteschaft!
Bei Long Covid und CFS/ME geht es dabei nicht "nur" darum, zu lernen, wie man mit solch einschneidenden Symptomen leben kann. Tatsächlich modulieren deine kognitiven Prozesse dein Immunsystem[8][9] und vermindern dadurch deine Erschöpfung und andere CFS-Symptome[10].
Im Laufe des Jahres möchte ich dir deshalb einige Werkzeuge an die Hand geben, damit du die psychosomatische Therapie von CFS/ME und Long Covid eigenmächtig für dich nutzbar machen kannst. Heute beginnen wir einführend mit der Analyse einer niederländischen prospektiven Longitudinal-Studie, um die Spreu vom Weizen trennen zu können. Schließlich ist nicht alles gleich hilfreich, nur weil mal eben "Psychotherapie" darauf steht ...

Inhaltsverzeichnis: Das kannst du in diesem Artikel lernen.
- Wie das Umprogrammieren dysfunktionaler Gedankenmuster die Symptome von CFS/ME und Long Covid nachhaltig lindern kann (Metaanalyse der Universität Amsterdam).
- Auf was es bei der psychosomatischen Behandlung von CFS/ME und Long Covid besonders ankommt (prospektive Beobachtungsstudie der Universität Leiden).
- Welche Ressourcen dir bei der Planung einer ganzheitlichen psychosomatischen Behandlung helfen können.
Wie das Löschen negativer Gedankenmuster dein CFS oder Long Covid lindern kann.
Eine aktuelle Metaanalyse der Universität Amsterdam verschafft uns den entsprechenden Überblick[14]. Insgesamt flossen acht hochwertige randomisierte und kontrollierte Studien und die Daten von insgesamt 1300 CFS-Patienten in die umfassende Datenanalyse ein. Untersucht wurden die Auswirkungen der Kognitiven Verhaltenstherapie auf die Erschöpfung und körperliche Funktionstüchtigkeit von Patienten mit einem Chronischen Erschöpfungssyndrom.
Bevor wir uns jedoch gemeinsam die Ergebnisse dieser Studie anschauen, müssen wir zumindest kurz darüber sprechen, wie eine effektive KVT bei CFS und Long Covid aussehen sollte. Zuerst einmal solltest du wissen, dass diese Form der Psychotherapie auf einem kognitiv-behavioralen Modell der Erkrankung CFS/ME basiert, welches zwischen Faktoren unterscheidet, die die Erschöpfung triggern (sprich: Ursachen; bspw. einer akuten Infektion) und kognitiv-behavioralen (Gedanken und Verhalten) Faktoren, welche dieses Symptom und mit ihm verwobene Einschränkungen manifestieren, verstärken und aufrechterhalten[15]. Aufbauend auf dieser Hypothese besteht die KVT bei CFS aus mehreren Facetten. Hierzu gehören in erster Linie:
- Kognitive Umstrukturierung problematischer Gedankenmuster (z.B. Katastrophisieren, Alles-oder-Nichts-Denken, unrealistisch negative Überzeugungen bzgl. Konsequenzen, Dauer etc.)
- Verschiebung des Fokus weg von der Erschöpfung
- Management von Schlaf und Aktivitäten
- Zielsetzung und evtl. graduelle Steigerung von Aktivitäten
Und wie sahen nun die Ergebnisse dieser Interventionen aus? Machen wir es kurz: Eine Psychotherapie im Sinne der KVT verbesserte sowohl die Erschöpfung als auch die Einschränkungen durch die Erkrankung und die körperliche Funktionsfähigkeit signifikant und war den einzelnen Kontrollarmen (z.B. Warteliste) deutlich überlegen. Fast jeder zweite Teilnehmer konnte durch die KVT klinisch relevante Fortschritte erzielen, welche in dieser Studie dadurch definiert waren, dass die Probanden nicht mehr als stark erschöpft klassifiziert werden konnten (z.B. <35 auf der CIS-Fatigue, siehe Worm-Smeitink et al.,2017[16]). Und ist dies nicht genau jenes Ziel, nach dem alle CFS- und Long-Covid-Betroffenen streben? Endlich nicht mehr maßlos erschöpft zu sein und sich nicht mehr länger dauerhaft einschränken zu müssen?
Was wäre, wenn du dieses große Ziel allein durch die Umstrukturierung deiner Gedanken erreichen könntest? (Nicht, dass das nötig wäre, denn zusätzlich können dir evidenz-basierte Therapieansätze wie die Kältetherapie oder eine spezifische CFS-Ernährung dabei helfen, deine Erschöpfung zu mindern. Aber heute soll es ja eigentlich ausschließlich um die Macht deiner Gedanken gehen ...)

Das sieht also schon sehr vielversprechend aus, oder? Zusätzlich solltest du erfahren, dass einige Variablen den Therapieerfolg begünstigten. Dazu gehörten ein jüngeres Lebensalter (Teenager und junge Erwachsene) und eine hohe Selbstwirksamkeitserwartung. Auf deutsch: Jene Patienten, die davon überzeugt waren, aufgrund ihrer Eigenschaften und Fähigkeiten, die Erkrankung in den Griff bekommen zu können, profitierten dann auch besonders stark von der Psychotherapie.
Das trifft doch nur auf Patienten mit CFS oder krankheitsbezogener Erschöpfung zu, nicht aber für uns Betroffene mit CFS/ME und PEM!
Ein Teil dieser Argumentationsstruktur beruht darauf, dass frühere Untersuchungen nicht ausreichend zwischen Patienten, welche mittels unterschiedlicher Diagnosekriterien diagnostiziert worden waren, unterschieden hätten. Prominent sprechen wir über die Differenzierung von Patienten ohne oder mit dem Kardinalsymptom Post Exertional Malaise. Und diese Kritik an den älteren Studien ist absolut berechtigt! Nicht berechtigt ist allerdings die nicht auf Evidenz beruhende Schlussfolgerung, Patienten mit CFS/ME und PEM seien eine exklusive Gruppe, für die automatisch andere Gesetze gelten müssten.
Zumindest im Fall der eben vorgestellten Metaanalyse sollte es allerdings keinen größeren Diskussionsbedarf geben. Zum einen schlossen die Wissenschaftler konsequent Studien mit unklaren KVT-Kriterien aus. Dazu gehörten u.a. auch Ergebnisse der PACE-Serie. Zum anderen hatten nahezu alle analysierten Probanden eine Diagnose nach den Kriterien des Centers for Disease Control (CDC) und ein Großteil zusätzlich nach den Kriterien des National Institute for Health and Care Excellence (NICE) erhalten. Beide Kriterien beinhalten PEM, wobei das Symptom in den NICE-Guidelines obligat für die Diagnose Myalgische Enzephalomyelitis bzw. Chronic Fatigue Syndrome sein soll[19]. Ironischerweise betonen die aktuellsten NICE-Leitlinien, dass die Kognitive Verhaltenstherapie nicht als eigentliche Therapie von CFS/ME, sondern nur im Einzelfall und dann als "supportive" Maßnahme verstanden werden sollte. Die weiter oben vorgestellte Metaanalyse anhand der Daten von CFS/ME-Probanden mit PEM legt das absolute Gegenteil nahe. Man kann also gespannt sein, wie sich die nächste Version der Guidelines positionieren wird!
Ist es vielleicht die Kraft der Muskeln statt der Kraft der Gedanken?
Könnte es also möglich sein, dass in erster Linie die vermehrte Bewegung und nicht die reprogrammierten Gedanken hinter den Erfolgen der Psychotherapie stecken? Denkbar wäre es - etwa wenn wir bedenken, wie andere Kulturkreise mit CFS/ME-Patienten umgehen. So gehören bspw. verschiedene Mind-Body-Approaches, etwa die innere Kampfkunst Tai Chi, zum Standardrepertoire der Traditionellen Chinesischen Medizin im Kampf gegen CFS und ihm verwandte Erkrankungen und erzielen dabei große Erfolge[21]. Dabei verharren die dokumentierten Wirkungen nicht auf einer oft angenommenen esoterischen Ebene. Modernste Untersuchungen, u.a. mit funktioneller Magnetresonanztomographie (fMRT), belegen die Verbesserung der bei CFS-Betroffenen signifikant verminderten Hirn-Konnektivität[22]. Neben der Kräuterheilkunde, der Akupunktur, Massage- bzw. Manualtherapie gehören also auch tägliche Bewegungseinheiten in die TCM-Therapie des Chronischen Erschöpfungssyndroms[23][24]. Welch ein Gegensatz zu den Leitlinien der westlichen Fachgesellschaften, welche inzwischen jegliche Bewegungstherapie als pures Gift brandmarken und damit vielen Patienten effektive Behandlungsstrategien verwehren.

Ob die durch die aktivierende Psychotherapie angeregte vermehrte körperliche Betätigung die entscheidende Rolle für den beobachteten Erfolg der Kognitiven Verhaltenstherapie bei CFS/ME spielt, wurde zu unserem Glück gleich in mehreren Studien untersucht. So zeigte bspw. eine Reanalyse von drei randomisierten und kontrollierten KVT-Studien, welche jeweils eine signifikante Verminderung der Fatigue als zentrales Ergebnis verbuchen konnten, dass die Psychotherapie in diesen Fällen überhaupt gar nicht erst zu einer Erhöhung der körperlichen Betätigung geführt hatte. Die deutlichen Verbesserungen durch die Psychotherapie mussten also durch andere Mechanismen angestoßen worden sein. Außerdem errechneten die Wissenschaftler, dass selbst wenn es zu vermehrter Bewegung im Rahmen der Intervention kam, diese lediglich 1% der gesamten Behandlungseffekte erklären konnte[25]. Im dramatischen Gegensatz hierzu können Faktoren wie ein verminderter Fokus auf das (erwartete) Kardinalsymptom Erschöpfung bis zu 46% der Varianz innerhalb der Outcomes erklären[6].
Wir können die aufgeworfene Frage also klar und deutlich beantworten: Es ist tatsächlich die kognitive Restrukturierung oder das Umprogrammieren deiner ungünstigen Gedanken, die für die hohe Effektivität der Kognitiven Verhaltenstherapie verantwortlich ist. Da sie kaum in der Lage zu sein scheint, den Aktivitätsgrad der Betroffenen zu erhöhen, sollte die Wirksamkeit spezifischer Bewegungstherapien anhand eigener Studien bewertet werden (bei Interesse siehe meinen Artikel zu CFS und Sport).
In diesem Kontext vielleicht noch eine letzte Anmerkung zum Tai Chi und ähnlichen Mind-Body-Approaches: Da es sich beim Tai Chi um ein holistisches oder gar meditatives Bewegungsverfahren handelt, welches explizit auch die kognitive und emotionale Ebene umfasst, sind dessen besonders herausgehobene Effekte bei CFS/ME wenig überraschend. So teilen die Kognitive Verhaltenstherapie und Tai Chi zahlreiche Wirkmechanismen[26][27].
Die psychosomatische Therapie von CFS/ME & Long Covid: Worauf kommt es wirklich an?
Eine besonders interessante longitudinale Beobachtungsstudie der Universität Leiden (Niederlande) untersuchte die Auswirkungen von veränderten Krankheitsüberzeugungen und Kognitionsmustern auf verschiedene symptomatische Ebenen des Chronic Fatigue Syndroms[28]. Insgesamt wurden 144 Patienten über einen Zeitraum von 12 Monaten begleitet. Alle Probanden erfüllten zu Beginn des Beobachtungszeitraums die CDC-Diagnosekriterien für CFS/ME. Die durchschnittliche Erkrankungsdauer betrug 13,5 Jahre und die Patienten zeigten im Mittel sechs zusätzliche körperliche Symptome.
Insgesamt führten die Wissenschaftler vier Regressionsanalysen durch und prüften die Auswirkungen psychologischer und körperlicher Veränderungen auf folgende vier Ergebnisebenen:
- Erschöpfung bzw. Fatigue
- körperliche CFS-Symptome
- körperliche Funktionstüchtigkeit
- psychologische Funktionstüchtigkeit

Zuerst einmal konnten die Wissenschaftler feststellen, dass sich das Bild der Erkrankung CFS/ME in den Köpfen der Patienten über die 12 Monate signifikant veränderte. So verminderten sich beispielhaft die der Erkrankung zugeschriebenen negativen Konsequenzen und identitätsbedrohenden Faktoren. CFS/ME wurde also im Durchschnitt als weniger einschneidend für das eigene Leben und Wohlbefinden interpretiert, was sich auch in einer gesteigerten krankheitsbezogenen Lebensqualität ausdrückte. Dies kam für mich einigermaßen überraschend, denn schließlich handelte es sich ja in erster Linie um "alte Hasen", welche mitunter schon 40 Jahre mit CFS/ME leben mussten (zur Rolle der Krankheitsdauer kommen wir gleich noch einmal). Doch welche dieser kognitiven Faktoren wirkten sich tatsächlich auf die Symptome der Erkrankung aus?
Das Regressionsmodell war abschließend dazu in der Lage, über 50% der Varianz des Kardinalsymptoms Erschöpfung zu erklären. Wenig überraschend wirkte sich die Ausprägung der Erschöpfung zu Beginn des Beobachtungszeitraums erheblich auf die Erschöpfung nach 12 Monaten aus. Doch mit wenig Abstand folgten bereits spezifische subjektive Bilder und Wahrnehmungen der Erkrankung. Prominent waren dies:
- erwartete, durch die Erkrankung hervorgerufene Konsequenzen
- gefühlte, durch CFS/ME bedingte Bedrohungen der eigenen Identität
Anstiege beider dysfunktionaler Überzeugungen gingen mit einer signifikanten Zunahme der Erschöpfung nach einem Jahr einher.
Erst weit abgeschlagen folgten Aktivitätsfaktoren, welche gerade einmal 3,5% zur Klärung der Varianz beisteuern konnten. Lediglich ein vermehrtes Alles-oder-Nichts-Verhalten, nicht aber körperliche Aktivität per se, trug zu einer Zunahme der Fatigue bei!
Ganz ähnlich sah es bei den drei verbliebenen Ebenen aus: Änderungen der Krankheitswahrnehmung (kognitive Restrukturierungen) erklärten einen signifikanten Teil der Verbesserungen oder Verschlechterungen. Zu den beiden oben genannten Variablen gesellten sich auf der Ebene der körperlichen Symptome ...
- Überzeugungen zum zeitlichen Ablauf der Erkrankung CFS/ME (Prognose)
Veränderungen auf der Verhaltensebene (auch ein Mehr an Bewegung) wirkten sich überhaupt nicht auf die Anzahl und Intensität der körperlichen Symptome aus. Hättest du das gedacht?
Die einzige Ebene, auf welche sich die psychischen Facetten nicht deutlich stärker auswirkten als die körperlichen, war jene der körperlichen Funktionsfähigkeit. Sowohl eine Verschlechterung der Krankheitsüberzeugungen als auch die Zunahme von Alles-oder-Nichts-Verhalten oder der übermäßigen Pausen verschlechtern diese in einem ähnlichen Ausmaß.
Veränderte Gedanken beeinflussen deine Symptome stärker als dein Verhalten: ein kleines Fazit dieser Studie
- Veränderte Wahrnehmungen des Chronischen Erschöpfungssyndroms wirkten sich signifikant auf alle erhobenen Krankheitsebenen (Erschöpfung, körperliche Symptome, psychische und
körperliche Funktionstüchtigkeit) aus.
- Sie erklärten jeweils einen relevanten Teil der Zu- oder Abnahme der CFS-Symptome über einen Zeitraum von 12 Monaten.
- Besonders stark wirkten sich veränderte Einschätzungen der durch die Erkrankung erzeugten Konsequenzen, der Identitätsbedrohungen und des erwarteten zeitlichen Ablaufs auf die Beschwerden aus.
- Eine Steigerung oder Verminderung der körperlichen Aktivität wirkte sich überhaupt nicht auf die Outcome-Ebenen aus.
- Die Regulation körperlicher Aktivität (Alles-oder-Nichts-Verhalten und exzessive Pausen) wirkten sich geringfügig auf die Erschöpfung und auf die körperliche Funktionsfähigkeit aus.
- Die individuelle Krankheitsdauer beeinflusste keines dieser Ergebnisse.
Kurz und knapp: Die Macht deiner Gedanken über dein CFS/ME ist real! Doch weißt du was? Es wird noch viel besser!
Über die Relevanz dieser Ergebnisse
- Die Probanden litten im Durchschnitt bereits 13,5 Jahre an CFS/ME und zeigten dadurch verfestigte Überzeugungen bezüglich der Erkrankung und deren Konsequenzen.
- Alle Teilnehmer wurden aus einer großen Patientenorganisation rekrutiert. Ausnahmslos alle Studien belegen, dass diese Patienten nicht mit anderen CFS-Patienten zu vergleichen sind. Sie zeigen stärkere Symptome und mehr psychiatrische Auffälligkeiten[29][30].
- In der Studie kam es zu keinen Interventionen, die auch nur den Versuch unternahmen, die krankheitsbezogenen Kognitionen zu verändern (z.B. im Rahmen einer Kognitiven Verhaltenstherapie). Wir können davon ausgehen, dass eine solche zu deutlich größeren messbaren Effekten geführt hätte.
Man kann sich gut vorstellen, wie eine spezifische Intervention zur kognitiven Restrukturierung bei erst kürzlich diagnostizierten CFS/ME-Patienten wirken könnte ...
Ich kann nur hoffen, dass dir dieser Artikel Hoffnung und Mut gemacht hat. Stand der Evidenz ist jedenfalls, dass allein das Hinterfragen und Ersetzen dysfunktionaler Überzeugungen bzgl. CFS/ME zu einer deutlichen Linderung der Erschöpfung und der mit ihr verwobenen Symptome führen kann. Das kostet dich im besten Falle weder Zeit noch unnötig körperliche Energie. Nur etwas Wissen, Zeit und vor allem auch viel Akzeptanz sind gefragt. Hierzu solltest du dir einen weiter oben zitierten Befund noch einmal vor das innere Auge rufen: Patienten, die glaubten, ihr CFS/ME besiegen oder zumindest kontrollieren zu können, erzielten letztlich auch die besseren Erfolge!
Heißt das im Umkehrschluss, dass jeder Patient sein CFS/ME durch die psychosomatische Behandlung erheblich verbessern kann? Wohl eher nicht. Aber die Wahrscheinlichkeit eines Münzwurfes solltest du nicht ungenutzt lassen, wenn sie sich schon einmal anbietet!
Bevor wir für heute schließen, vielleicht noch eine letzte Anmerkung spezifisch zu Long Covid: Ich hatte vermerkt, dass sich CFS/ME und Long Covid in vielen Facetten ihrer Pathophysiologie überschneiden, aber keinesfalls identisch sind. Meine heutigen Ausführungen zur kognitiven Restrukturierung bezogen sich allerdings hauptsächlich auf Untersuchungen an CFS/ME-Patienten. Dies ist natürlich dadurch erklärlich, dass an CFS/ME bereits deutlich länger geforscht wird als am Long Covid Syndrom. Lassen sich die geschilderten Erkenntnisse dennoch auf Long-Covid-Patienten übertragen? Meiner Erfahrung nach: Ja, absolut! Und auch die ersten wissenschaftlichen Untersuchungen legen dies nahe[31]. Ich würde diese Option gesünder zu werden keinesfalls ungenutzt lassen.
Jetzt aber wirklich genug für heute! Nachdem es Ziel dieses einführenden Artikels war, dich davon zu überzeugen, dass die psychosomatische Behandlung deine Erschöpfung wirklich reduzieren kann, werde ich dir in den folgenden Artikeln konkrete Techniken vorstellen, die dir dabei helfen werden, deine dysfunktionalen Gedankenmuster zu erkennen und zu manipulieren.
Bis dahin wünsche ich dir viel Kraft, Mut und alles Liebe
dein Thomas
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Literaturverzeichnis
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Abbildungsverzeichnis
Abb1
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