Unschöne Aussichten für Reizdarm-Betroffene: Der "Dysbiose-Marsch" und die Progression in die Katastrophe (CFS/ME und Fibromyalgie)!

Viele Patienten mit einem Reizdarmsyndrom fanden sich nach Jahren mit vornehmlich gastrointestinalen Symptomen in einem Sumpf aus psychiatrischen Beschwerden, Gelenkschmerzen, Erschöpfung und Berufsunfähigkeit wieder. Was ist diesen armen Seelen passiert?
Viele Patienten mit einem Reizdarmsyndrom fanden sich nach Jahren mit vornehmlich gastrointestinalen Symptomen in einem Sumpf aus psychiatrischen Beschwerden, Gelenkschmerzen, Erschöpfung und Berufsunfähigkeit wieder. Was ist diesen armen Seelen passiert?

Liebe Alltagsheldinnen und liebe Mitstreiter, zuerst einmal ein ganz herzliches Willkommen zu einem neuen Blogbeitrag! Vielen Dank, dass ihr mir und dem Projekt nun schon so lange die Treue haltet und natürlich auch für eure Spenden und Likes der letzten Wochen! 

 

Ich muss zugeben, dass ich mich immer recht schwer damit tue, einen derart düster gefärbten wissenschaftlichen Inhalt wie den heutigen zu bearbeiten und für meine Leser und Zuschauer ansprechend aufzubereiten. Schließlich sollen Reizdarmtherapie.net und der zugehörige YouTube-Kanal Everyday Heroes für einen positiven Aufbruch stehen. Sie sollen den Betroffenen Mut machen und ihnen endlich evidenz-basierte und sichere Wege und Möglichkeiten aufzeigen, um sich von ihren quälenden Beschwerden zu befreien. Jene in der Wissenschaft sehr wohl vorhandenen effektiven Optionen, die ihnen und dir über Jahre und Jahrzehnte vorenthalten waren. Doch neben dieser frohen Kunde über die bahnbrechenden Erfolge der Speziellen Kohlenhydratdiät, der verschiedenen Paleoprotokolle, des Scheinfastens oder der Stuhltransplantation gibt es eben auch die nicht zu negierenden Schattenseiten unserer Erkrankungen. So denken tatsächlich nicht wenige Betroffene mit einem Reizdarmsyndrom, Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa über die Möglichkeit eines Suizids zur Lösung ihrer Probleme nach (Miller et al.,2004) und etwa jeder achte Darmpatient ist aufgrund seiner Erkrankung arbeitslos oder nicht erwerbsfähig (Drossman et al.,2009). 

 

Auch das heutige Thema ist nicht besonders gut dazu geeignet, euch geplagten Lesern vor dem Bildschirm Hoffnung zu schenken oder dich als Patientin, die ja "nur" an einem Reizdarmsyndrom leidet, erleichtert aufatmen zu lassen. Es zeigt nämlich einen Teufelskreislauf bzw. besser eine Teufelsspirale unserer Erkrankungen auf, der viele von uns "alten Hasen", die mitunter schon jahrzehntelang am RDS leiden, aufgrund mangelnder Kenntnisse und Therapieoptionen in der Vergangenheit nicht entrinnen konnten. Aus meiner jahrelangen Arbeit mit und für Patienten weiß ich, wie sensibel manche verzweifelte Betroffene auf solche Hiobsbotschaften reagieren. Dennoch habe ich mich dazu entschieden, diese in der Wissenschaft aktuell heiß diskutierte Hypothese hier näher zu besprechen, da ich hoffe, dass gerade die jungen und frisch-diagnostizierten Leser unter euch erkennen, wie wichtig ein schnelles, entschlossenes und zielorientiertes Handeln zur Wiedererlangung eurer Darmgesundheit tatsächlich ist!

 

Es geht bei einem Reizdarmsyndrom eben nicht nur um etwas Bauchgrummeln und Blähungen, wie uns noch immer viele Ärzte und Medien weismachen wollen, sondern in vielen Fällen lediglich um den Beginn bzw. die ersten Vorzeichen einer ernsthaften Erkrankung mit massivsten sozialen, wirtschaftlichen, psychischen und gesundheitlichen Folgen. 

 

Lasst euch deshalb keinesfalls mit symptomatischen Behandlungen via Loperamid und Co. abspeisen oder befolgt sogar den hilflosen Ratschlag vieler Allgemeinmediziner "mit euren Reizdarmsymptomen leben zu lernen". Diese Strategien führ(t)en tausende von uns Patienten in die unmittelbare Katastrophe. Sicher fällt es jungen Betroffenen mitunter sehr schwer, für ihre spekulative Gesundheit von übermorgen schon heute auf leckeres Fast-Food, nächtliches Ausgehen mit den Freunden, den hochstressigen Job mit dem exzellenten Gehalt und andere Annehmlichkeiten der Moderne zu verzichten. Doch glaubt mir, ich durfte inzwischen zahllose liebens- aber eben auch bemitleidenswerte Frauen und Männer kennen lernen, die heute alles dafür geben würden, hätten sie schon frühzeitig(er) die Reißleine gezogen. Einige von ihnen kommen kaum noch aus ihrer Wohnung heraus, viele mussten ihre geliebten Hobbies aufgeben. Ein Großteil von ihnen ist heute erwerbsunfähig und im Haushalt auf Hilfe angewiesen. Dabei hatte man ihnen doch jahrelang erzählt, dass es sich bei ihren Beschwerden eben "nur" um einen Reizdarm handele ...

 


Inhaltsverzeichnis: Was du in diesem Artikel lernen wirst.

Wenn bei einem Reizdarm plötzlich die Gelenke schmerzen oder man es vor Erschöpfung kaum noch zum Einkaufen schafft ...

Seien wir doch bitte einmal ganz ehrlich: Obwohl sich sicherlich viele Ärzte, Krankenkassen und Therapeuten redlich bemühen, um den Betroffenen Linderung und vor allem Verständnis durch Arbeitgeber und Angehörige zu verschaffen, geht die derzeitige Diskussion doch letztendlich vollständig an den Bedürfnissen eines Großteils der Patienten mit einem Reizdarmsyndrom vorbei! Der Reizdarm war nie und ist auch heute keine bloße gastrointestinale Erkrankung.
Vier von fünf RDS-Patienten klagen neben den quälenden Darmsymptomen über starke Erschöpfungszustände und annähernd jeder zweite Betroffene auch über Muskel- und Gelenkschmerzen (Valeur et al.,2016). Doch selbst diese gewaltigen Prävalenzen werden noch von jenen der das Reizdarmsyndrom fast immer begleitenden Angststörungen und depressiven Verstimmungen übertroffen (Whitehead et al.,2002). Hinzu treten unzählige weitere extraintestinale Symptome wie beispielsweise Herzrasen, Schweißausbrüche, sexuelle Störungen, Schlafstörungen, menstruelle Schwierigkeiten und viele andere (Palsson & Whitehead,2017). Die Rate systemischer Beschwerden übertrifft dabei jene von Patienten mit Morbus Crohn oder Colitis ulcerosa um ein Vielfaches (Hershfield,2005). 

 

Der inzwischen am besten durch die Wissenschaft etablierte Zusammenhang zwischen dem Reizdarmsyndrom und extraintestinalen oder eben systemischen Komorbiditäten (Begleiterkrankungen) besteht zu der Schmerzerkrankung Fibromyalgie (FMS), dem Chronischen Erschöpfungssyndrom bzw. der Myalgischen Enzephalomyelitis (CFS/ME) und verschiedenen psychiatrischen Diagnosen (vor allem aber Angststörungen wie Generalisierte Angststörung, Panikstörung, Soziale Phobie, Agoraphobie). 51% der Patienten mit einem Chronischen Erschöpfungssyndrom und 49% der Patienten mit einer Fibromyalgie erfüllen auch die Diagnosekriterien für das Reizdarmsyndrom (Whitehead et al.,2002). Deutlich mehr als jeder dritte Reizdarmpatient wurde zusätzlich auch mit einer Fibromyalgie diagnostiziert, während dies auf nicht einmal jede 20. Person einer Kontrollgruppe zutraf (Sperber et al.,1999). In einer Fragebogenstudie berichtete fast die Hälfte der befragten Patienten mit RDS, CFS oder FMS von mindestens zwei der genannten Erkrankungen gleichzeitig betroffen zu sein (Hyland et al.,2019)! Lassen wir das doch einmal ganz in Ruhe einsickern und sprechen dann vielleicht noch einmal mit unserer Chefin oder unserem Hausarzt über "das harmlose und unbedenkliche Bauchgrummeln" oder "das bisschen Blähungen", ja? 

 

Was war eigentlich eher da? Huhn oder Ei? CFS oder RDS?

Vor kurzer Zeit erhielt ich eine Mail von einem betroffenen Zuschauer. Wie so viele von uns litt auch er unter Reizdarmbeschwerden und lähmender Erschöpfung. Nun wollte er sinngemäß von mir wissen, welches Beschwerdemuster ich bei dieser Konstellation primär behandeln würde, um symptomatische Fortschritte zu erzielen. Ich persönlich glaube aufgrund meiner Erfahrungen mit Klienten und durch die inzwischen hunderten Zuschriften von Lesern und Zuschauern, dass auf diese Frage mehrere Antworten möglich sind, wobei eine wohl für den Großteil der Patienten zutrifft.
  • Aufgrund von akuten Infektionen im Magen-Darm-Trakt (Gastroenteritis) und verstärkt durch begünstigende Faktoren wie Angst, Stresserleben, Depressionen vor und während des Infektionszeitpunktes entwickelt sich ein überaktiviertes Immunsystem mit Mikroentzündungen, Mastzellhyperplasie und veränderten Neurotransmitterkonzentrationen und -verhältnissen (z.B. Park,2010). Die direkte Folge sind Veränderungen der Motilität und Sensitiviät, welche für Bauchschmerzen und Durchfälle verantwortlich sind. Über längere Zeit kommt es aber zu negativen Auswirkungen auf das gastrointestinale Mikrobiom und auch die Darmbarriere wird geschädigt. Das bereits vorgeschädigte und überaktive Immunsystem kommt nun mit Nahrungsproteinen, Mikroorganismen und vor allem auch Endotoxinen (LPS) in Kontakt, vor welchen es normalerweise durch eine funktionstüchtige Darmbarriere geschützt wäre (Fukui,2016). Analog ist dieser Vorgang übrigens auch für die Blut-Hirn-Schranke nachgewiesen (Banks et al.,2015). Aus den daraus entstandenen systemischen Entzündungsprozessen und der Neuroinflammation resultieren extra-intestinale Symptome, psychiatrische Beschwerden, chronische Erschöpfung und auch Fibromyalgie (Lacourt et al.,2018; Huang et al.,2016; Zhao et al.,2019).

  • Die gleiche unheilvolle Kaskade an Prozessen ist, neben der oben beschriebenen lokalen infektiösen Genese, auch durch andere Auslöser provozierbar. So wirken sich beispielsweise traumatische Kindheitserlebnisse, Kaiserschnitte, fehlendes Stillen durch die Mutter, wiederkehrende Antibiosen während der Kindheit und Fehlernährung im Sinne der westlichen Kost allesamt erwiesenermaßen extrem negativ auf die Artenvielfalt und Komposition des Mikrobioms aus und können zu dem gleichen Ergebnis führen (Hills et al.,2019). Dieser Umstand erklärt unter anderem auch die immer wieder von Forschergruppen erhobenen erhöhten Quoten sexuellen, körperlichen und seelischen Missbrauchs innerhalb der Reizdarm-Community (Delvaux et al.,1997). Die Reizdarmbeschwerden sind dann nämlich als eine klare Folge der durch das Trauma induzierten Dysbiose und nicht als eine der erhöhten "Empfindlichkeit" oder gar "Neurotizität" dieser Patienten zu interpretieren (Hemmings et al.,2017; Mayer, 2018).

  • Das eher "klassische" Erschöpfungssyndrom bzw. eher die Myalgische Enzephalomyelitis (Bitte bedenke: es handelt sich bei einem CFS, genauso wie bei einem Reizdarmsyndrom, um ein so genanntes SYNDROM, also eine lediglich umschreibende Oberkategorie zur groben diagnostischen Einordnung, in welche ganz unterschiedliche Dinge hinein gepackt werden!) ist sehr häufig mit einer akuten oder chronischen (Re-)Infektion z.B. mit dem Epstein-Barr-Virus (EBV) oder dem Humanen-Herpes-Virus 6 (HHV6) assoziiert (Rasa et al.,2018). Ein bedeutendes Kennzeichen dieser Pathogenese ist die Dysfunktion der so genannten "Kraftwerke unserer Zellen" - der Mitochondrien (Myhill et al.,2009). 

 

In meiner Erfahrung ist der absolut größte Teil der Erkrankungen an Fibromyalgie und Chronischem Erschöpfungssyndrom auf den geteilten Mechanismus hinter Punkt 1 und 2 zurückzuführen. Natürlich könnte ich hier einem absoluten Selektions-Bias unterliegen, da ich naturgemäß hauptsächlich mit jenen Betroffenen zu tun habe, die eben auch unter Darmbeschwerden leiden. Doch meine anregenden Gespräche mit der CFS-Forscherin und -Therapeutin Dr. Sarah Myhill bestätigen mich in dieser Annahme. Auch sie berichtete mir, dass zahllose ihrer Patientinnen und Patienten ihre "Krankheitskarriere" einst als "harmlose" Reizdarmfälle begonnen hatten und viele Jahre später teilweise kaum noch selbstständig aus dem eigenen Bett aufstehen konnten. Sie sagte mir auch, dass sie fest davon überzeugt sei, dass eine solche Progression innerhalb der Erkrankung absolut möglich sei. Wie ich hält sie Reizdarm, Fibromyalgie und Chronisches Erschöpfungssyndrom nämlich nicht für klar voneinander abgrenzbare Erkrankungen per se, sondern für individuelle klinische Ausdrucksformen auf einem "Kranheitskontinuum"! Tatsächlich teilen diese Erkrankungen nahezu alle relevanten Pathomechanismen von den Lipopolysacchariden, über die gestörte Darmbarriere, bis hin zur Dysbiose des Darm-Mikrobioms. (Dazu bald mehr in einem eigenständigen Artikel.) 

 

Für interessierte Leser, die sich schon jetzt etwas intensiver mit diesen Zusammenhängen beschäftigen möchten, habe ich mich in einem vergangenen Artikel ausführlich mit der Entstehung von Erschöpfungszuständen innerhalb von Darmerkrankungen auseinandergesetzt.

 

Der vorgesehene Marsch in die Erwerbsunfähigkeit und Hilfsbedürftigkeit

Eine unerwartete Schützenhilfe erhielten unsere Überlegungen vor wenigen Tagen durch einen Bericht norwegischer Wissenschaftler. Ihr Artikel mit dem zutreffenden Titel "Vom Reizdarmsyndrom zur Myalgischen Enzephalomyelitis - die Dysbiose-Marsch-Hypothese" erschien im Fachjournal Medical Hypotheses (Berstad et al.,2020). 

 

Die Autoren fassen in dem Artikel ihre erhobenen Daten an über 1.100 Reizdarmpatienten zusammen, wobei es sich hauptsächlich um langfristig erkrankte Betroffene handelte. Die Bauchschmerzen der Patienten bestanden im Durchschnitt bereits 26 Jahre. 

 

Zusammenfassung der Daten der 1.100 RDS-Patienten

Anzahl Patienten 1.100
Durchschnittliches Alter 42
Prozentsatz weiblich 73%
Durchschnittlicher BMI 23,5
Wiederkehrende Antibiose in der Kinheit 86%
Bauchschmerzen im Durchschnitt seit  26 Jahren
Bauchschmerzen als erstes Symptom 90%
 Gelenkschmerzen heute 82% 
Muskelschmerzen heute 81%
Chronische Erschöpfung heute 87%
Myalgische Enzephalomyelitis nach ICC/FFS heute 65%
Arbeitslos oder erwerbsunfähig heute 58%

Diese Ergebnisse sollten ausreichen, um uns als Betroffene, aber auch vor allem auch Ärzte und Vertreter von Krankenkassen usw. aus der Haut fahren zu lassen. Die norwegischen Wissenschaftler betonen noch einmal explizit in ihrem Bericht, dass nahezu alle Patienten initial lediglich über regelmäßige Bauchschmerzen klagten und typischerweise als Reizdarmsyndrom nach ROM-III diagnostiziert worden waren, bevor sie sehr viele Jahre später auch über Gelenk- und Muskelschmerzen, Morgensteifigkeit und chronische Erschöpfung als tägliche Begleiter berichteten! Aus dem Reizdarm von gestern war also über Jahre (die Daten beschreiben ein Intervall von 10 bis 20 Jahren) das CFS bzw. die ME oder aber die Fibromyalgie von heute erwachsen. Sage und schreibe 58% der untersuchten Population konnten keiner beruflichen Beschäftigung mehr nachgehen! 

 

Auf Grundlage dieser erhobenen Daten entwickeltenn die Forscher ihre Hypothese des "Dysbiose-Marsches" (in Anlehnung an den bereits in der Medizin etablierten Begriff des "atopischen Marsches" bei allergischen Erkrankungen), welcher das sequenzielle Fortschreiten des Reizdarmsyndroms hin zu einer chronisch systemischen Erkrankung beschreibt. 

 

Die Autoren sehen vor allem vermehrte und wiederholte Antibiosen im Kindheitsalter als mögliche Auslöser eines veränderten Mikrobioms mit stark reduzierten probiotischen Bakterien. Durch das Fehlen etwa von Laktobazillen breiteten sich verschiedene Darmbakterien, aber vor allem auch Hefepilze wie Candida albicans, invasiv aus und bildeten starke Biofilme, um sich vor Angriffen anderer Mitbewerber, des Immunsystems des Wirts und medikamentösen Strategien zu schützen. Innerhalb des Biofilms, unter dessen schützenden Schild mit der Zeit weitere "Invasoren" schlüpfen könnten, wüchse der Hefepilz heran, führte zu einer Dysfunktion der Darmbarriere, induzierte so systemische Entzündungsprozesse und modulierte die angeborene Immunität, so die Ausführungen der Forscher. 

 

Hierzu kann ich nur ergänzend anfügen, dass neben der ausufernden und oft auch sinnfreien(!) Nutzung von Antibiotika viele weitere Faktoren zu einer solchen Dysbiose beitragen können (siehe oben). So wissen wir, dass nahezu jeder entzündliche Zustand (z.B. eine Gastroenteritis; im Rahmen von CED oder RDS usw.) die Kolonisation mit Candida albicans begünstigt (Kumamoto,2012). Ich teile die Fokussierung der Autoren auf die Antibiosen also nicht, halte deren allgemeine Hypothese aber für durchaus gerechtfertigt. 

 

Welche Beweise gibt es für die Richtigkeit dieser Hypothese?

Natürlich sollten wir beachten, dass es sich bei der hier vorgestellten Progression lediglich um eine Hypothese handelt, auch wenn diese auf recht beeindruckenden Beobachtungen und erhobenen Langzeitdaten beruht. Schließlich müssen wir in diesem Kontext einräumen, dass nur etwa jeder fünfte Patient mit einem Reizdarmsyndrom eine ärztliche Betreuung in Anspruch nimmt und die hohen Prävalenzen in verschiedenen internationalen Erhebungen zumeist auf Selbsteinschätzungen auf Grundlage der ROM-Kriterien beruhen (Olafsdottir et al.,2012). Den Weg zum Facharzt oder in die Unikliniken finden aber am ehesten Betroffene mit einem erheblichen Schweregrad oder aber verschiedenen Komorbiditäten. Die von den norwegischen Wissenschaftlern erhobenen Daten könnten also ebenfalls einem Selektions-Bias unterliegen und damit nicht repräsentativ für alle Reizdarmpatienten sein.

 

Wie können wir den Wert der Hypothese also abschätzen? Eine gute Annäherung wäre meiner Meinung nach über vorhandene übergreifende und effektive Therapieansätze möglich:

  1. Verschwinden systemische bzw. nicht-gastrointestinale Beschwerden beim Reizdarmsyndrom, wenn wir klassische gastrointestinale Pathomechanismen behandeln?
  2. Bessert sich ein Chronisches Erschöpfungssyndrom bzw. die Myalgische Enzephalomyelitis, wenn wir die Darmgesundheit wiederherstellen?
  3. Bessert sich die Fibromyalgie, wenn wir die Darmgesundheit wiederherstellen?

Zu Punkt 1

Zahlreiche Studien zeigen, dass die Korrektur der Hauptpathomechanismen des Reizdarmsyndroms zu starken Verbesserungen der systemischen Beschwerden und Komorbiditäten führt. So berichtete eine weitere bahnbrechende Untersuchung aus Norwegen über drastische Verbesserungen des Reizdarmsyndroms mittels der Wiederherstellung des Darm-Mikrobioms durch eine Stuhltransplantation via eines "Super-Spenders" (El-Salhy et al.,2019).  Bemerkenswerterweise induzierte die FMT (fecal microbiota transplantation) aber nicht nur eine starke Verbesserung und in vielen Fällen sogar Remission (=keine Beschwerden mehr) des Reizdarms an sich, sondern verbesserte parallel auch signifikant die chronische Erschöpfung der Patienten. Mehr als jede zweite Teilnehmerin erreichte eine Verbesserung um mindestens 4 Punkte auf der Fatigue Assessment Scale (FAS) und einige Probanden unterschritten die Grenze zur Kategorie "keine Erschöpfung". 

 

Zu Punkt 2

Tatsächlich gelang es bereits Wissenschaftlern um Professor Michael Maes die Symptome des Chronischen Erschöpfungssyndroms bzw. der Myalgischen Enzephalomyelitis signifikant zu lindern oder diese sogar in Remission zu bringen. Hierfür nutzten sie die Korrektur des Mikrobioms aber vor allem auch die Regulation der gestörten Darmbarriere (Leaky Gut Syndrom). In einer beeindruckenden Untersuchung erzielten sie mithilfe einer speziellen Diät und der Gabe von Glutamin, Zink und NAC über vierzehn Monate signifikante Verbesserungen in mehr als 50% ihrer CFS-Probanden (Maes & Leunis,2008).  Das gleiche Team beschreibt auch beeindruckende vollständige Auflösungen der ME-Beschwerden (z.B. Maes et al.,2007). Diese klinischen Verbesserungen gehen mit einer substanziellen Beruhigung der Immunantwort auf Bestandteile der mikrobiellen Dysbiose einher. 

 

Zu Punkt 3

Auch zur Fibromyalgie existieren inzwischen Fallstudien, welche die vollständige Beschwerdefreiheit mittels ernährungstherapeutischer Maßnahmen zur Beeinflussung des Mikrobioms erzielten (z.B. Lattanzio & Imbesi,2018).  Auch die bereits vorhandenen Fallstudien zur Stuhltransplantation sind beachtenswert. So berichten Thurm und Kollegen (2017) über einen Patienten, der sich selbst mittels FMT behandelte und innerhalb von neun Monaten aus der sozialen Isolation befreite und sogar wieder arbeiten gehen konnte. Die von ihm durchgeführte DNA-Sequenzierung zur Auswertung des Darm-Mikrobioms zeigte deutliche Verschiebungen in der Komposition der Darmflora. 

 

Der erste Schlag muss frühzeitig und heftig erfolgen. Dann ersparst du dir hunderte weitere!

Die im letzten Abschnitt zitierte Evidenz kann uns sicher Mut machen, denn immerhin gelang es auch einem nicht geringen Prozentsatz der Patienten mit einer bereits fortgeschrittenen Krankheitsevolution ihre Symptome zu lindern oder diese sogar zu heilen. Falls du aber zu (noch) zu den "klassischeren" Reizdarmfällen zählen solltest oder erst vor kurzer Zeit mit dieser Diagnose konfrontiert wurdest, möchte ich, dass du folgende Fakten mit in diese Überlegung einbeziehst:
  1. Nicht allen dieser Patienten gelang eine Linderung oder Genesung! In den Studien von Michael Maes und Team lag die Responderquote bei knapp über 50% und hing u.a. vom Alter der Betroffenen und der Krankheitsdauer ab. 
  2. Die fortgeschrittenen Krankheitsstadien benötigten teilweise eine sehr lange, kostenaufwendige und drastische Therapie, um überhaupt Erfolge verbuchen zu können. So hielten die Patienten von Maes und Kollegen 14 Monate strenge Diät und nahmen zahlreiche Supplemente ein. 
  3. Ich habe bereits mit einigen CFS-Patienten zusammengearbeitet. Hast du einmal diesen Zustand erreicht, wird es dir ohne praktische Hilfe unheimlich schwer fallen, deinen eigenen Alltag, geschweige denn eine aufwendige Therapie zu organisieren.

Deine allerbeste Chance die Abwärtsspirale zu durchbrechen ist also genau jetzt. Heute und in dieser Minute. Du hast dein Schicksal in der eigenen Hand. Zahlreiche wissenschaftliche Untersuchungen haben bestätigt, dass wir unser Mikrobiom restaurieren und unsere Darmbarriere wiederherstellen können.

 

Kümmere dich heute um den kleineren und nicht so erfahrenen Kämpfer Reizdarmsyndrom, bevor er in einigen Jahren zum Endboss CFS mutiert und einige neue fiese Kombos auf Lager hat! 

 

Was du heute noch tun kannst ...

Unten findest du einige persönliche Empfehlungen, mit denen du deine Darmgesundheit gezielt wieder herstellen kannst und dem Dysbiose-Marsch langfristig die Latschen ausziehst! Bei einem Kauf über die jeweiligen Abbildungen erhalte ich eine kleine Provision und du unterstützt dadurch meine für euch völlig kostenfreie Arbeit auf dem Blog und dem Kanal. Falls du mich nicht unterstützen möchtest, kannst du die Produkte über einen neuen Tab bestellen! 

 

1. Mikrobiom Komposition und Diversität via Diät stabilisieren

Lass die Finger von der westlichen Kost! Stell deine Ernährung nach der Paläodiät oder SCD um und integriere nach einiger Zeit wieder Hülsenfrüchte, glutenfreien Hafer und Co. Meide synthetische Zusatzstoffe, gentechnisch veränderte Lebensmittel, Gluten usw. und bevorzuge stattdessen Nüsse, Beeren, Samen, Gemüse, Obst und Fisch. Achte auf eine hohe Nährstoffdichte und Ballaststoffzufuhr. Diese Ernährungsstrategien sind bewährt zur langfristigen Wiederherstellung der Komposition und Diversität des Mikrobioms (Konijeti et al.,2017; Walters et al.,2014).



2. Darmbarriere mittels NAIOS stärken

Das Akronym "NAIOS" steht für "natural anti-inflammatory and anti-oxidative substances". Bei den verlinkten Produkten handelt es sich um exakt jene Wirkstoffe, welche von Professor Michael Maes und seinem Team bei der Behebung des Leaky Gut Syndroms und der damit verbundenen Beruhigung des Immunsystems eingesetzt wurden (Maes & Leunis,2008). 

 

Eines der hier vertretenen Supplemente, die Aminosäure L-Glutamin, erzielte in einer Studie an Reizdarmpatienten einen der stärksten klinischen Effekte in der Reizdarmforschung überhaupt (Zhou et al.,2019).  Glutamin war dem Plazeboarm in dieser Untersuchung 14fach überlegen: Es verbesserte die Durchlässigkeit der Darmbarriere, halbierte den Symptomscore, halbierte die Stuhlfrequenz und normalisierte die Stuhlform innerhalb von nur acht Wochen! 

 

NAIOs nehmen auf einen der wichtigsten Faktoren im Zusammenhand mit dem Dysbiose-Marsch Einfluss: die Darmbarriere, welche das System vor einer übersteigerten Immunantwort auf LPS etc. schützt und dadurch systemische und Neuroinflammation verhindert. 


3. Probiotische Darmbakterien via Präbiotika expandieren lassen

Eine weitere Hauptkampflinie gegen den Dysbiose-Marsch bietet sich uns mit der gezielten Förderung probiotischer Darmbakterienspezies. Wie weiter oben beschrieben, sehen die norwegischen Wissenschaftler einen Hauptgrund für die Progression vom Reizdarm zum CFS im Mangel an gesundheitsförderlichen Darmbakterien wie Laktobazillen. 

 

Ein Präbiotikum ist ein Ballaststoff, welcher den Dickdarm erreicht und selektiv die Ausbreitung probiotischer Keime begünstigt. Im Gegensatz zur Gabe von Probiotika, welche nachweislich "nur" immunomodulatorisch wirkt (die Bakterien siedeln sich nicht an), helfen Präbiotika langfristig die Darmflora zu stabilisieren, die Darmbarriere zu stärken und pathogene Mikroorganismen und Pilze zurückzudrängen. 

 

Sowohl Bimuno, ein Beta-Galaktooligosaccharid, als auch teilhydrolisiertes Guarkernmehl (PHGG) haben sich als extrem bifidogen und hoch wirksam bei der Behandlung des Reizdarmsyndroms erwiesen (Silk et al.,2009; Yasukawa et al.,2019).


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