Ernährung bei CFS-ME, Teil I: Metabolische Phänotypen und Mitoprotektion

Wie sieht eigentlich die richtige Ernährung beim Chronischen Erschöpfungssyndrom (CFS/ME) aus? Diese Frage beschäftigt regelmäßig tausende Betroffene mit lähmender Erschöpfung, gastrointestinalen Beschwerden, Brain Fog und anderen CFS-Symptomen. Doch obwohl der Bedarf an wissenschaftlich-fundierten Informationen zu diesem Thema enorm ist, enttäuschen die Antworten der Mediziner häufig die Erwartungen der Hilfesuchenden. Let´s face it: Was die Ernährungstherapie betrifft, befindet sich das Chronic Fatigue Syndrom in etwa dort, wo sich das Reizdarmsyndrom und seine pathophysiologischen Geschwister Morbus Crohn und Colitis ulcerosa noch vor zwei bis drei Jahrzehnten versteckten. Ärzte und viele Selbsthilfeverbände mahnen an, die Betroffenen sollten sich möglichst gesund und ausgewogen ernähren, eine spezifische Ernährungsumstellung zur Linderung der CFS-Beschwerden existiere schlicht und ergreifend nicht. Und: Unnötig strenge Eliminationsdiäten würden die Patienten nur weiter stressen und deren Lebensqualität absenken. 

Doch gleich zwei starke Argumente fordern uns zum deutlichen Widerspruch auf: 

  1. Zahlreiche Studien legen sehr wohl CFS-spezifische Wirkungen verschiedener Ernährungsstrategien nahe. Hierzu gehören primär, aber nicht ausschließlich:
    1. eine verbesserte Regeneration der Mitochondrien
    2. eine optimierte Nährstoffverwertung und Energiebereitstellung
    3. ein erweiterter Schutz gegenüber nitrosativem und oxidativem Stress 
    4. eine Verminderung der Entzündungslast
    5. eine verbesserte Regulation des Blutzuckerspiegels
    6. eine Optimierung des gastrointestinalen Mikrobioms
  2. Unzählige Fallstudien und Selbstberichte lassen außerdem darauf schließen, dass Ernährung sehr wohl die Kardinalsymptome von ME-CFS stabilisieren könnte. Dies gilt insbesondere, da die angewandten Ernährungsprotokolle große Schnittmengen aufweisen oder sich sogar gleichen (Trabal et al.,2012; Weigel et al.,2021). Hier ist natürlich darauf hinzuweisen, dass solche Anekdoten natürlich noch keine Evidenz sind. Haben wir jedoch hunderte positive Selbstberichte, dann handelt es sich um eine Hypothese, die wissenschaftlich durch randomisierte und kontrollierte Studien geprüft werden sollte (dazu später noch etwas mehr). 

In diesem Artikel möchte ich mich vor allem auf die Mitoprotektion (Schutz und Regeneration der bei CFS nicht mehr vollständig funktionsfähigen Mitochondrien) und die metabolischen Phänotypen (Pfade der Energieverwertung und -bereitstellung) fokussieren. Anhand der wissenschaftlichen Datenlage werden wir anschließend die Frage beantworten, welche Ernährung für dich und dein CFS perfekt geeignet ist. Und ein kleiner Teaser: Diese Frage lässt sich tatsächlich für einen Großteil der Betroffenen eindeutig beantworten. 

 

Nachdem wir uns im letzten Artikel ausführlich mit der heilsamen Wirkung von Kälte bei ME-CFS beschäftigt haben, lass uns nun in die faszinierende Welt der gestörten Energiebereitstellung eintauchen! In den folgenden Abschnitten wirst du lernen, wie du den Sand aus deinem Benzintank filtern kannst, um bald wieder mehr Leistung abzurufen. Gehen wir es an!


Inhaltsverzeichnis

Das CFS und die metabolischen Phänotypen

Vielleicht fragst du dich gerade, warum du dich als Betroffener des Chronischen Erschöpfungssyndroms überhaupt mit deiner Ernährung beschäftigen solltest. Schließlich handelt es sich um eine primär immunologische Erkrankung, welche durch Mikroentzündungen und andere postinfektiöse Prozesse charakterisiert ist, nicht wahr?

Nur zum Teil! Neuere Untersuchungen belegen nämlich eindeutig, dass es sich bei CFS/ME um eine immuno-metabolische Erkrankung handelt (siehe bspw. Hoel et al.,2021). Neben den immunologischen Aspekten ist also auch der Energiestoffwechsel maßgeblich gestört, für welchem unsere tägliche Ernährung den Treibstoff liefert. Die verminderte Leistungsfähigkeit des Stoffwechsels führt den Organismus der Erkrankten in eine maximal unangenehme Lage: Er glaubt zu verhungern und wirft deshalb das durch die Evolution entwickelte metabolische Notfallprogramm an. 

 

Die drei metabolischen Phänotypen beim Erschöpfungssyndrom

Mit einer gewaltigen Kraftanstrengung analysierten norwegische Wissenschaftler mehrere hundert Stoffwechselzwischen- und endprodukte im Blut von Patienten mit CFS/ME und gesunden Kontrollpersonen. Und tatsächlich gab es, was den Stoffwechsel betrifft, erhebliche Unterschiede zwischen den Gruppen. Die mittleren Konzentrationen von insgesamt 159 Stoffwechselprodukten wichen signifikant voneinander ab. Erste Erkenntnis: Der Energiestoffwechsel arbeitet beim Chronischen Erschöpfungssyndrom anders als bei gesunden Vergleichspersonen.

 

Anhand der CFS-spezifischen Abweichungen konnten die Forscher die Patienten nun drei metabolischen Phänotypen zuordnen. Zum Vergleich: 95% der gesunden Kontrollpersonen wiesen einen anderen, aber einheitlichen Phänotyp auf. Die CFS-Phänotypen waren:

  1. Phänotyp I (CFS-M1), ca. 40% der CFS-Probanden
  2. Phänotyp II (CFS-M2), ca. 45% der CFS-Probanden
  3. Phänotyp III (CFS-M3), ca. 15% der CFS-Probanden

Der letztgenannte metabolische Phänotyp ist für unsere Betrachtungen eher uninteressant. Bei diesen Patienten glich die Stoffwechsellage jener der gesunden Kontrollpersonen. Der Grund für Fatigue, PEM und Brain Fog muss bei diesen Patienten also an anderer Stelle gesucht werden. Eine Umstellung der Ernährung ist für sie also, zumindest durch dieses verengte Sichtfenster betrachtet, eher weniger zielführend, kann aber aus anderen Gründen durchaus Sinn machen. Doch dazu in den nächsten Artikeln mehr. 

 

Was du aber unbedingt im Hinterkopf behalten solltest:

 

Mehr als vier von fünf Patienten mit CFS/ME weisen starke Auffälligkeiten im Energiestoffwechsel auf. 

 

Doch was genau unterscheidet die beiden metabolischen Phänotypen von einem gesunden Stoffwechsel?

 

Phänotyp I: Ketonkörper und freie Fettsäuren als Energielieferanten

Die Patienten im Cluster CFS-M1 wiesen signifikant erhöhte Konzentrationen von 134 und signifikant niedrigere Konzentrationen von 138 Stoffwechselprodukten auf. Besonders heraus stachen dabei die vermehrten Ketonkörper und Fettstoffwechselmarker. Letztere sind im Normalfall spezifische Charakteristika Ketogener Diäten, Fastenperioden oder zu geringer Kalorienzufuhr (Paoli et al.,2015). Im Kontext chronischer Erkrankungen begegnen uns jene Marker beispielsweise beim Diabetes mellitus (Laffel,1999). 

Aber halt! Weder ernährten sich die CFS-Patienten in dieser Studie besonders kohlenhydratarm oder unterkalorisch, noch litten sie an einem ausgeprägten oder Prä-Diabetes. Doch woher rührt dann ihre indiskutabel dokumentierte veränderte Stoffwechsellage?

Grafische Übersicht: Welche Ernährung ist sinnvoll bei CFS-ME? Gegenüberstellung CFS-spezifischer Stoffwechseltypen. CFS-M1 zeigt vermehrt Ketonkörper und Fettstoffwechselprodukte wie Glycerol.
Abb1: Ernährung bei CFS - Stoffwechseltypen. Besonders interessant etwa die Abweichungen von CFS-M1 bei den Ketonkörpern (G) oder dem Glycerol (D). Quelle: Hoel et al. (2021) s.u.

Phänotyp II: Katabole Stoffwechsellage durch Proteinverbrennung

Während schon die Besonderheiten des Clusters CFS-M1 auf einen ungünstigen Zustand des Stoffwechsels hindeuten, sieht es beim verbliebenen krankheitsspezifischen Phänotyp CFS-M2 noch problematischer aus. Die Patienten dieser Kategorie zeigten verminderte Metabolite des Fettstoffwechsels, griffen also nicht so sehr auf Nahrungsfette zurück wie ihre Leidensgenossen aus M1. Deutlich erhöhte Aminosäuren-Derivate weisen allerdings darauf hin, dass ihre Körper stattdessen auf einen noch ineffizienteren Energieträger zurückgreifen: Proteine bzw. Aminosäuren, die Bausteine unseres Organismus. Und auch die erhöhten Glycerol-Spiegel lassen vermuten, dass es den Betroffenen des Phänotyps M2 an die Substanz geht - der Körper mobilisiert zusätzlich vermehrt gespeicherte Fettreserven, um an Energie zu kommen. 

 

In der Zusammenschau der Befunde können wir bei M2 von einer katabolen Stoffwechsellage sprechen - der Metabolismus dieser Patienten zehrt mit aller Kraft an ihren körperlichen Reserven. Kein Wunder also, dass dieser Phänotyp mit der höchsten Krankheitslast bzw. den stärksten Symptomen assoziiert ist

 

Sand im Tank: Probleme mit der Glukoseverwertung

Beide Phänotypen zeigen deutliche Merkmale eines chronischen Fastenzustandes oder einer massiven Kohlenhydratreduktion, obwohl sich alle Patienten normal ernährten und auch normale Insulin- und Blutzuckerwerte aufwiesen. Allerdings scheint der von unserem Körper bevorzugte Weg der Energiegewinnung, nämlich die Verwertung von Glukose aus Kohlenhydratquellen wie Brot, Nudeln, Reis oder Obst, nachhaltig beeinträchtigt zu sein. Die CFS-Patienten müssen also nicht erst auf diese Kohlenhydrate verzichten, um Ketonkörper zu produzieren oder via Glukoneogenese Energie aus Aminosäuren zu gewinnen.
Die in Zuckermoleküle zerlegten Kohlenhydrate werden nämlich nicht ausreichend von den Kraftwerken unserer Zellen - den Mitochondrien - verwertet. Auch die erhöhten Pyruvat-Kozentrationen im Serum weisen auf diesen Zusammenhang hin. 

Pyruvate sind die Anionen der Brenztraubensäure. Sie entstehen in der Zelle, wenn Glukose zweifach phoshoryliert und abgebaut wird. Damit sind sie ein bedeutsames Produkt des aeroben und anaeroben Energiestoffwechsels. Erhöhte Pyruvat-Konzentrationen im Serum entstehen dann in erster Linie bei einer mangelhaften Verwertung desselben durch die Mitochondrien. 

Im Einklang mit diesen Befunden konnten die Forscher außerdem zahlreiche auffällige Marker dokumentieren, die eng mit Zellstress assoziiert sind.

 

 Fassen wir die bisherigen Erkenntnisse dieser Studie noch einmal chronologisch zusammen:

  1. Die CFS-Patienten aßen eine klassische Mischkost, was auch die erhobenen Blutzucker- und Insulinwerte untermauerten. Keiner der Probanden litt an einem Diabetes mellitus oder dessen Vorstufe. 
  2. Der bevorzugte Energieträger in einer solchen Ernährung sind die Kohlenhydrate. Letztere müssen zuerst in Zuckermoleküle gespalten und schließlich in Pyruvat umgewandelt werden, damit die Mitochondrien aus ihnen Energie gewinnen können. Doch bei 85% der von ME-CFS Betroffenen, wurde das Pyruvat nicht in ausreichendem Maß verstoffwechselt
  3. Da ihr Körper aber natürlich dennoch Energie benötigt, greift er auf alternative, aber weniger effiziente, Energieträger in der täglichen Ernährung zurück. Im Fall von CFS-M1 sind dies Fettsäuren und Ketonkörper, während der Stoffwechseltyp CFS-M2 auf die körpereigenen Reserven an Fettspeichern und Aminosäuren zurückgreift.  
  4. Dass dieser "Umweg" den Zellen große Mühen bereitet, lässt sich unter anderem auch an den deutlich erhöhten Zellstressmarkern ablesen. 

Oder noch einmal ganz schlicht: 

 

Die Zellen von CFS-Patienten hungern trotz normaler bzw. gesunder Ernährung

und müssen für die Gewinnung von Energie große Belastungen in Kauf nehmen.

 

365 Tage "Keto-Flu"

Weißt du eigentlich, was die so genannte "Keto-Flu" ist? Dabei handelt es sich um eine spezifische Ansammlung von Symptomen, die regelmäßig von Menschen berichtet werden, welche ihre Ernährung auf eine Ketogene Diät umstellen oder ihre Kohlenhydratzufuhr anderweitig dramatisch reduzieren (Zhu et al.,2022). Hintergrund dieser Beschwerden ist die Umstellung des menschlichen Stoffwechsels auf einen neuen Energieträger - von Kohlenhydraten auf Fettsäuren und Ketonkörper. Der Körper muss erst lernen, diese neuen Quellen für seine Energiegewinnung zu nutzen. Es müssen entsprechende Enzyme produziert, mehr Gallensäuren freigesetzt und Ketonkörper gebildet werden. Dieser Vorgang kann ein bis drei Wochen in Anspruch nehmen und während dieser Übergangsphase kommt es zu den charakteristischen Symptomen der Keto-Flu. Über welche Beschwerden sprechen wir hier? 
  1. Erschöpfung
  2. Reizbarkeit
  3. Kopfschmerzen und Schwindel
  4. Kognitive Störungen (Konzentration und Gedächtnis)
  5. Brain Fog
  6. Übelkeit
  7. Magen-Darm-Beschwerden
  8. Neigung zu Hypoglykämie (zu niedriger Blutzucker)

Als CFS-Betroffener dürfte dir dieses Symptomcluster gut bekannt sein ... 

 

 Und das ist auch nicht verwunderlich. Die spezifischen metabolischen Phänotypen belegen eindeutig, dass die Zellen von CFS-Patienten den gleichen Stresstest durchlaufen, wie jene von Menschen während des Fastens oder der Umstellung auf eine Ketogene Ernährung! Der signifikante Unterschied: Die Erkrankten halten ihren Körper meist aus Unwissenheit dauerhaft in diesem Adaptionsprozess gefangen

Denn so lange ihr Körper in ausreichendem Maße mit Kohlenhydraten versorgt wird, versucht ihr Stoffwechsel weiterhin, Zuckermoleküle als Hauptenergieträger zu mobilisieren. Wie wir gesehen haben mit wenig Erfolg, aber dafür mit umso mehr Aufwand und "schmutzigen" Nebenprodukten. Aus Energienot nutzt er dann kurzfristig das Notfallprogramm, um sich alternativ zu versorgen. 

 

Doch was ist der Ausweg aus diesem Dilemma?

Kohlenhydratreiche Ernährung führt bei CFS-ME zu einer Überbeanspruchung des Stoffwechsels. Bild: Mann hängt erschöpft über Baum.
Ketogene Ernährung und CFS-ME: Patienten mit Chronic Fatigue Syndrome können Kohlenhydrate nicht in ausreichender Form zu Energie verstoffwechseln. Konsumieren sie diese weiter, müssen die Zellen unter hohem Aufwand auf andere Energieträger umschaltem.

Ketonkörper für eine effizientere Energiegewinnung bei CFS

Du hast also gesehen, dass die Mitochondrien beim Chronischen Erschöpfungssyndrom mit der Energiebereitstellung via Glukose maßlos überfordert sind (über die Gründe werden wir an anderer Stelle diskutieren). Krampfhaft versuchen sie alternative Quelle zu erschließen - vor allem Ketonkörper, was aber aufgrund der Hormonsignale (Insulin und Co.) nicht wirklich funktioniert. 

Sinnvoll scheint es aus diesem Grund, den Stoffwechsel tatsächlich in den Zustand der Ketose zu führen.

Hierzu solltest du wissen, dass deine Mitochondrien die dann in Vielzahl zirkulierenden Ketonkörper aus mehreren Gründen lieben. Als erstes möchte ich aber jene hervorheben, welche ihre Funktion der Energiebereitstellung betreffen:

  1. Ketonkörper sind der deutlich effizientere Brennstoff, denn sie erzeugen mehr ATP pro Einheit als Pyruvat (aus Glukose). Weiterhin erhöhen sie die Energieausbeute bei der ATP-Hydrolyse, also der "Übersetzung" chemischer in mechanische Energie (Murray et al.,2016). 
  2. Die Verbrennung von Ketonkörpern ist der deutlich "sauberere" Vorgang, denn es entstehen deutlich weniger problematische Nebenprodukte wie etwa Freie Radikale, welche zu Zellschäden und Zelltod führen können (Kolb et al,2021). 

Mit einer Umstellung auf die Ketogene Ernährung gibst du deinem Körper also, nach was er bei CFS ohnehin lechzt: Einen alternativen Energieträger, der außerdem noch hocheffizient verstoffwechselt werden kann und dabei oxidativen Stress und Entzündungsprozesse in deinen Zellen in Schach hält. Gibst du deinem Körper durch eine entsprechende Ernährung und die damit einhergehenden Hormonsignale das Zeichen, dass er den Stoffwechsel vollständig umstellen sollte, resultiert daraus auch endlich ein dauerhaft "sauber" arbeitender Metabolismus - ganz ohne das Hin- und Herschalten zwischen unterschiedlichen Energieträgern und vielen überflüssigen (und Energie beanspruchenden) Nebenprodukten! 

 

Studie: Verbesserte Leistungsfähigkeit von CFS-Patienten durch Ketogene Ernährung

In einer diesbezüglichen Pilotstudie konnten britische Forscher zeigen, dass die Ketogene Diät nicht "nur" CFS-Symptome verbessern, sondern auch die überschüssigen Kohlenhydratstoffwechsel-Nebenprodukte beim Ergometer-Test normalisieren kann (Cossington et al.,2021). Die Probanden berichteten in dieser Untersuchung u.a. von ...
  1. verminderter Erschöpfung bzw. Fatigue
  2. mehr Energie im Alltag und bei submaximalen Belastungen
  3. verbesserter kognitiver Leistungsfähigkeit

und zeigten sich interessiert, diese Ernährung auch nach dem Beenden der Studie beizubehalten. 

 

Auch die objektiven Parameter waren vielversprechend: Die CFS-Patienten hielten während der Ketogenen Ernährung länger auf dem Fahrradergometer durch (75W) und berichteten eine geringere empfundene Anstrengung als vor der Diät.  Die Herzfrequenzen belegen hingegegen, dass in beiden Versuchen (vor und während der Diät) unter voller Auslastung gearbeitet wurde. 

 

Mit der Umstellung auf Ketose umgehst du eine Fehlfunktion deiner Mitochondrien, indem du diesen einen effizienteren und saubereren Brennstoff anbietest. In der Medizin nennen wir ein solches Vorgehen symptomatische Therapie. Wir beheben nicht die eigentliche Ursache, sondern umschiffen diese sozusagen. Doch die Ketogene Ernährung kann das Chronische Erschöpfungssyndrom tatsächlich auch kausal beeinflussen.

Du möchtest wissen, wie das funktioniert? Dann lies einfach weiter! (Sollte dir aber bereits an dieser Stelle der Kopf schwirren, empfehle ich dir, erst einmal eine kleine Pause einzulegen. Der Artikel rennt ja nicht weg und besonders wichtig ist mir, dass du den Inhalt meiner Argumentation vollständig nachvollziehen kannst, damit du bei deiner Ernährungsumstelltung die richtigen Schritte einleiten kannst.)

 

Mehr als "nur" symptomatische Therapie: Erschöpfungssyndrom und Mitochondrien

Die Studien zur Katalogisierung von metabolischen Phänotypen beim Chronischen Erschöpfungssyndrom, von denen die oben vorgestellte lediglich die prominenteste ist, belegen, dass die Mitochondrien Erkrankter maßgebliche Schwierigkeiten bei der Verstoffwechslung von Glucose zu Energie in Form von ATP und somit körpereigener Energie haben. Auch wenn es auf den ersten Blick so erscheinen könnte, als seien der daraus resultierende Mangel an Energie bzw. das Zurückgreifen des Körpers auf seine Reserven die Ursachen der typischen Beschwerden wie Fatigue, Brain Fog, Müdigkeit oder Post Exertional Malaise (PEM), in Wahrheit sind die Wurzeln der Symptome in der primären Fehlfunktion der Mitochondrien selbst zu suchen. 
Dass eine Dysfunktion der so genannten "Kraftwerke der Zellen" hinter CFS/ME steckt, wird in der Wissenschaft schon seit vielen Jahren als tragbare Hypothese diskutiert (siehe bspw. Myhill et al,2009). In einigen Experimenten mit besonders imposanten Ergebnissen zeigte sich, dass ausnahmslos alle CFS-Probanden eine solche mitochondrialen Dysfunktion zeigten und dies in einer Kohorte von immerhin 200 Patienten (Booth et al.,2012). Besonders heraus stach dabei die (teilweise) Blockierung des translocator proteins, eines besonders wichtigen Proteins in der Außenmembran der Mitochondrien. Diese und weitere Fehlfunktionen führten schließlich dazu,
dass 90% der CFS-Probanden mit nur etwa zwei Dritteln der ATP-Ausbeute gesunder Kontrollpersonen zurecht kommen mussten
Schließlich bewiesen die Wissenschaftler auch eine damit übereinstimmende, über das Maß hinausgehende, Akkumulation geschädigter und abgestorbener Zellen beim Chronischen Erschöpfungssyndrom. 

 

Die Datenlage ist also recht eindeutig: Die Mitochondrien arbeiten bei ME-CFS nicht ordnungsgemäß (Mitochondriopathie) und der Körper kompensiert den Mangel an ATP durch das Anzapfen alternativer Quellen (metabolische Phänotypen). Doch wir müssen noch einen Schritt in die Vergangenheit zurück. Denn es stellt sich immer noch die Frage, wie es zur mitochondrialen Dysfunktion kam.

Eine Antwort liegt in den mitunter heterogenen akuten Infektionserkrankungen, die mit der Entstehung des Chronischen Erschöpfungssyndroms assoziiert sind, insbesondere den Herpesviren (siehe von Komaroff,1988 bis Rasa-Dzelzkaleja,2023). 

 

Greifen wir uns zur Illustration dieses Punktes einmal beispielhaft das Epstein Barr Virus (EBV, Pfeiffersches Drüsenfieber) heraus: Patienten, die nach einer akuten EBV-Infektion chronische Erschöpfungszustände (postviral fatigue) entwickelten, zeigten während der Erkrankung eine deutlich abweichende Expression von Genen gegenüber jenen Personen, die sich zügig und vollständig erholten (Vernon et al.,2006). Das Problematische daran? Ein Großteil dieser Gene ist mit der Steuerung der Mitochondrienfunktion assoziiert! Hierunter leidet nicht nur der Zellstoffwechsel, sondern auch der Zellzyklus (denke an die hohe Rate geschädigter und abgestorbener Zellen). 

 

Was hat das nun alles mit einer spezifischen CFS-Diät zu tun?, wirst du dich wahrscheinlich fragen. Ziemlich viel, ist meine ernst gemeinte Antwort darauf.  Aber lies und staune selbst!

 

Ketose als Reha-Zentrum für deine Mitochondrien!

Du hast jetzt bereits gelernt, dass deine Mitochondrien Ketonkörper lieben, weil diese ein effizienterer Brennstoff sind, eine höhere Energieausbeute haben und kaum problematische Nebenprodukte erzeugen. Doch es gibt noch einen weiteren und eigentlich für dich noch interessanteren Grund: Ketonkörper fungieren nämlich nicht ausschließlich als Energieträger, sondern zusätzlich als Signalmoleküle, welche den Schutzschirm deiner Zellen und Mitochondrien aktivieren. Wir nennen diesen Schutzschirm in der Wissenschaft Mitohormesis (Miller et al.,2018). 
Grafische Darstellung des Pfades, auf dem Ketogene Ernährung die bei CFS geschädigten Zellen schützen kann. Verstärkung antioxidativer Enzyme wie SOD2 oder Catalase und Hemmung des Hydroxyl Radikals *OH.
Abb2: Ketogene Ernährung bei CFS - Zellschutz via Vermehrung antioxidativer Enzym und Beeinflussung des Hydroxyl Radikals. Quelle: Miller et al.,2018.

Die Zellen sind beim Chronischen Erschöpfungssyndrom und anderen postinfektiösen Erkrankungen massivem oxidativen (und nitrosativen) Stress ausgesetzt (Maes, 2013; Morris & Maes,2014).  Dieser Zellstress führt, wie du bereits gesehen hast, dazu, dass deine Zellen überproportional nicht mehr gut arbeiten können oder sogar absterben (Kannan & Jain,2000). Die Präsenz bestimmter Ketonkörper führt hingegen dazu, dass deine Zellen vermehrt antioxidative Enzyme bilden und freie Radikale auch direkt unschädlich machen! Auf diesem Wege schützt die Ketogene Ernährung deine Zellen vor einer weiteren Abwärtsspirale und macht deinen gesamten Organismus wieder glücklich. 

 

Und eine weitere Eigenschaft der Ketose ist für dich als Patienten mit dem Chronischen Erschöpfungssyndrom wünschenswert: Ketogene Zustände (egal ob Fasten, Kalorienreduktion oder eben Ketogene Ernährung) verbessern das Volumen, die Funktionsweise und die Ausdifferenzierung verschiedener Stammzelltypen (Novak et al.,2020). Stammzellen sind schlicht gesagt die Nachschublinien deines Körpers und du benötigst sie, um neue Zellen (inkl. Mitochondrien) für verschiedenste Gewebearten herzustellen. Gerade da dein Körper ein Zuviel an nicht optimal funktionierenden und abgestorbenen Zellen beherbergt, ist deren Abbau und das Ersetzen durch naive und gesunde Zellen äußerst erstrebenswert.

 

Greifen wir uns zur Illustration vielleicht einmal die intestinalen Stammzellen des Darms heraus. Studien belegen, dass eine Ketogene Ernährung die Funktion dieser Stammzellen verbessert und dadurch die Regeneration von Darmgewebe nach Verletzungen beschleunigt und optimiert (Cheng et al.,2019). Gewählt habe ich ausgerechnet dieses Beispiel, da die überdurchlässige Darmbarriere (Leaky Gut Syndrom) zu den gut etablierten Krankheitmechanismen (und manche Forscher meinen Krankheitsursachen) von CFS/ME zählt (Maes & Leunis,2008; Uhde et al.,2023). Die ketogene Diät kann durch ihre stammzellfördernden Eigenschaften dabei helfen, die zu durchlässige Darmbarriere zu schließen und die überschüssige Immunantwort des Organismus abklingen zu lassen. 

 

Kurzum: Die Ketogene Ernährung verbessert bei ME-CFS nicht nur deinen Energiestoffwechsel, sondern schützt deine Mitochondrien auch vor weiteren Schäden durch freie Radikale und andere Bösewichtern und generiert sogar neue und naive Kraftwerke.

Fazit und Ausblick

Aus all diesen Gründen, insbesondere aber ihrer heilsamen Wirkungen auf die Mitochondrien, wird die Ketogene Ernährung heute von zahlreichen Wissenschaftlern und praktischen Ärzten als Grundlage der Therapie bei CFS/ME empfohlen (siehe bspw. Craig,2015). 

 

Bedeutet dies, dass dich allein die Umstellung auf eine solche Ernährung von deinen CFS-Beschwerden befreien wird? Eine seriöse Antwort auf diese Frage muss differenziert ausfallen: Das ist weder ausgeschlossen, noch garantiert. Nicht jeder Patient profitiert in gleichem Maße von der Ketose. Der Erfolg ist u.a. abhängig von ...

  1. deinem metabolischen Phänotyp (siehe oben)
  2. deiner Erkrankungsdauer (siehe Maes und Leunis,2008)
  3. deinem Lebensalter

Generell kann aber festgehalten werden, dass die Optimierung der Stoffwechselprozesse und die Verbesserung der Mitochondrienfunktionen für jeden Betroffenen des Erschöpfungssyndroms anstrebenswert ist. Den Erfolg einer solchen Ernährungsumstellung solltest du nach etwa sechs Monaten abschätzen können. Ich selbst, aber auch eine prominente CFS-Expertin wie Dr. Sarah Myhill durften bereits einige faszinierende Heilerfolge begleiten und dokumentieren - und viele von diesen Patienten nutzten eine Form der Ketogenen Kost als Fundament ihrer Genesung. Sei es die von mir empfohlene mediterrane Variante, Dr. Myhills "Paleo-Ketose" (paleo ketogenic diet - PKD) oder auch eine Carnivore Diät. 

 

Für die praktische Umsetzung der Ketogenen Ernährungsweise bei CFS sind außerdem einige wichtige Aspekte zu beachten, um die Diät möglichst effektiv, aber auch sicher zu gestalten. Auch die Ketogene Diät kann ganz unterschiedlich ausgestaltet werden. Mit den Stricken und Stolperfallen dieser Ernährungsform, den am besten geeigneten Lebensmitteln bei CFS/ME und der Umstellung auf ein kohlenhydratreduziertes Leben werden wir uns in den nächsten Artikeln auseinandersetzen. 

 

Für heute gibt es, so denke ich, erst einmal genug Gedankenfutter zu verdauen ... 

 

Bis zum nächsten Artikel alles Liebe und gute Besserung

dein Thomas

 

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Abbildungsverzeichnis

Abb1

Hoel F, Hoel A, Pettersen IK, Rekeland IG, Risa K, Alme K, Sørland K, Fosså A, Lien K, Herder I, Thürmer HL, Gotaas ME, Schäfer C, Berge RK, Sommerfelt K, Marti HP, Dahl O, Mella O, Fluge Ø, Tronstad KJ. A map of metabolic phenotypes in patients with myalgic encephalomyelitis/chronic fatigue syndrome. JCI Insight. 2021 Aug 23;6(16):e149217. doi: 10.1172/jci.insight.149217. PMID: 34423789; PMCID: PMC8409979.

 

Abb2

Miller VJ, Villamena FA, Volek JS. Nutritional Ketosis and Mitohormesis: Potential Implications for Mitochondrial Function and Human Health. J Nutr Metab. 2018 Feb 11;2018:5157645. doi: 10.1155/2018/5157645. PMID: 29607218; PMCID: PMC5828461.

 

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