Warum DU nicht auf Dr. Wimmer und Co. hören solltest (Ballaststoffe, Inulin und Reizdarm)

Einfach etwas mehr Lauch in die Suppe, regelmäßig Linsen, aber dafür weniger Fleisch essen und schon geht es deinem Darm besser. So einfach könnte die Welt sein, wenn es nach einigen bekannten Gesundheits-Influencern geht. Als Betroffener eines Reizdarms oder einer chronisch-entzündlichen Darmerkrankung weißt Du natürlich, dass diese Vorstellung nicht nur grob vereinfacht, sondern schlicht und ergreifend unwahr und irreführend ist. 

Die Persönlichkeit der sympathischen Kommunikatoren in ihren weißen Kitteln trägt dazu bei, dass unzählige Patienten sich dennoch an diesen sicher gut gemeinten Ratschlägen versuchen, dabei nicht selten scheitern und dafür wirklich effektive Therapieansätze vernachlässigen. Doch tatsächlich sind die negativen Konsequenzen dieser halbgaren und sehr allgemein gehaltenen Empfehlungen noch weitaus umfassender. Sie können das biologische Ausmaß Deiner Erkrankung verschlimmern, Symptome triggern und Entzündungen verstärken

 

Letzteres möchte ich Dir gern exemplarisch anhand eines kurzen Videos von Dr. Johannes Wimmer belegen. 

 

Warum Dr. Wimmer?

Zuerst einmal möchte ich betonen, dass sich dieser Artikel nicht mit der Person oder Kompetenz von Dr. Wimmer beschäftigt. Weder kenne ich diesen persönlich, noch habe ich regelmäßig seine Beiträge im Fernsehen oder auf YouTube verfolgt. Durch seine enorme Reichweite ist er allerdings vielen meiner Leserinnen und Zuschauern ein Begriff und regelmäßig werde ich mit der Frage konfrontiert, was ich von Dr. Wimmer bzw. seinen Aussagen X oder Y zum Thema Darmgesundheit oder Reizdarmsyndrom halte. 

 

Dr. Wimmer steht mit seinem YT-Video "Top 5 für den Darm: Diese Lebensmittel liebt das Mikrobiom!" in diesem Artikel exemplarisch für eine ganze Reihe Fernseh-Ärzte und Gesundheits-Influencer, die schon allein durch ihre Arbeitgeber (Öffentlich-rechtlicher Rundfunk, Krankenkassen etc.) besonders im medizinischen, aber auch medialen Mainstream verhaftet sind. Letzteres muss nicht grundsätzlich ein Problem sein, kann aber dazu führen, dass wichtige Evidenzbausteine nicht beachtet werden. Dies möchte ich gern anhand des zitierten Videos aufzeigen. 

Diese Trennung von Person und Argument wird leider dadurch erschwert, dass ich bei meiner Recherche auf erhebliche Vorwürfe gestoßen bin, welche die Unabhängigkeit des Fernseh-Arztes von der Pharmaindustrie infrage stellen. Ich werde dennoch versuchen, mich auf das wesentliche Argument zu konzentrieren und dieses anhand wissenschaftlicher Untersuchungen zu entkräften.

 

Der Kontext: Mikrobiom, Darmgesundheit und Reizdarmsyndrom

In der Einleitung des oben genannten Videos sagt Dr. Wimmer, dass niemand wirklich gern über den Darm spreche außer ihm selbst. Es mache ihm überhaupt nichts aus, mit mir oder Dir über "Blähungen, Reizdarm und Stuhlgang zu sprechen". Hiermit suggeriert er, zumindest ist das mein ganz persönlicher Eindruck, die folgenden Empfehlungen seien auch für mich als Reizdarm-Patienten sinnvoll. Anschließend beschreibt er kurz die Darmflora und auch deren Zusammenhang mit verschiedenen Erkrankungen, bevor er anhand einer Top-5, die bei ihm "gleich mehrmals wöchentlich auf dem Teller" landet beschreibt, was die Darmflora braucht, um gesund zu sein und "ihre Arbeit ungehindert verrichten" zu können.

 

Dr. Wimmers Top-5 setzt sich wie folgt zusammen:

  1. Lauch
  2. Hülsenfrüchte
  3. Chicoree
  4. Löwenzahn
  5. Joghurt und Kefir

Als es mir vor vielen Jahren noch richtig übel mit meinem RDS-D ging, hätte mich bereits der Gedanke an die ersten vier Plätze innerlich zusammenfahren lassen, doch vielleicht ist das ja nur meine ganz persönliche Erfahrung. Grundlegend lassen sich die Empfehlungen im Video auf drei zentrale Gedanken herunterbrechen, die wir so oder ganz ähnlich von vielen Ärzten, Krankenkassen und Gesundheitsportalen im Internet kennen: Iss mehr Ballaststoffe in Form von Gemüse, Hülsenfrüchten und Vollkorngetreide. Verzehre präbiotische Substanzen wie Inulin. Iss weniger Fleisch. Letzteres habe ich mir übrigens nicht ausgedacht. Es wird tatsächlich so im Video empfohlen. 

 

Schauen wir uns die Empfehlungen 1 und 2 doch einmal etwas genauer an und prüfen anhand wissenschaftlicher Untersuchungen, ob diese bei einem Reizdarm sinnvoll sind. Den 3. Punkt (Fleischkonsum) spare ich mir für einen eigenen Artikel auf.

 

Empfehlung I: Deine Darmflora braucht mehr Ballaststoffe!

Inzwischen zähle ich ja bereits selbst zu den etwas fortgeschritteneren Semestern. Mein Reizdarmsyndrom vom Durchfalltyp wurde um die Jahrtausendwende diagnostiziert. Damals kursierte unter den deutschen Ärzten noch der Mythos vom Reizdarm als Ballaststoffmangel-Erkrankung bzw. "fiber deficiency" (z.B. Floch,1988). Und natürlich erhielt ich auch die dementsprechende Empfehlung, mehr von den guten Faserstoffen zu verzehren. Gemüse, Obst, Vollkornprodukte und Flohsamenschalen standen auf meinem Speiseplan.

Doch wie so viele Hilfesuchende musste ich die leidige Erfahrung machen, dass dieser Ratschlag meine Symptome noch einmal gewaltig befeuerte: Blähungen, Bauchschmerzen und Stuhldrang gingen durch die Decke. In Kombination mit regelmäßigen Durchfällen war das natürlich eine denkbar schlechte Kombination ...

 

 

Ballaststoffe verschlimmern häufig die Symptome des Reizdarmsyndroms

Dabei hätten die Ärzte es besser wissen können, denn bereits zehn Jahre zuvor hatten kritische Reviews der vorhandenen Literatur geschlussfolgert, dass eine vermehrte Ballaststoffzufuhr beim Reizdarmsyndrom wenig hilfreich ist (Nutritional Reviews,1990). In einem einflussreichen Systematischen Review samt Metaanalyse berichteten dann kanadische Wissenschaftler um Alexander Ford, dass eine erhöhte Einnahme von Ballaststoffen keine nennenswerten Effekte auf den Reizdarm zeige, vor allem wenn man die qualitativ hochwertigsten Studien heranzöge (Ford et al.,2008). Ganz im Gegenteil berichteten mehr und mehr Wissenschaftler ihre Beobachtungen, dass die Betonung von einer ballaststoffreichen Ernährung häufig Blähungen, Flatulenzen, Verstopfung und Durchfälle verschlimmere (Eswaran et al.,2013). Dies ist eigentlich auch ganz logisch nachzuvollziehen: Einer der Hauptkrankheitsmechanismen des Reizdarmsyndroms ist die so genannte viszerale Hypersensitivität - eine im Vergleich zu gesunden Personen herabgesetzte Reizschwelle des Darmnervensystems (Farzaei et al.,2016). Einfach erklärt: Du und ich nehmen jede Gasansammlung in unserem Darm und jede Kontraktion unserer glatten Muskulatur deutlich stärker wahr als Nicht-Patienten. Ballaststoffe werden nun aber im unteren Teil des Dünndarms und im Dickdarm durch die Mikroorganismen unserer Darmflora fermentiert. Hierbei entstehen verschiedene Gase wie Methan und Wasserstoff. Je mehr Ballaststoffe Du futterst, desto mehr Gase werden in deinem Darm gebildet (Tomlin et al.,1991). Und mehr Gase im Darm bedeuten in unserem speziellen Fall aufgrund der viszeralen Hypersensitivität auch mehr Unwohlsein und mehr Schmerzen. 

 

Wir könnten das Thema Ballaststoffe und Reizdarmsyndrom ohne Probleme noch weiter vertiefen und verkomplizieren, denn inzwischen sind unterschiedliche Wirkungsweisen der Faserstofftypen bekannt und einige von ihnen eignen sich tatsächlich in bestimmten Phasen bzw. für spezifische Subtypen des Reizdarmsyndroms (El-Salhy et al.,2017). 

Immer wieder wird in diesem Zusammenhang behauptet, dass gerade Reizdarm-Patienten vom Verstopfungstyp oder Menschen mit idiopathischer chronischer Verstopfung Ballaststoffe benötigten, um die Darmtätigkeit anzuregen. Auch Dr. Wimmer führt dieses Argument ins Feld. In einem Experiment von Wissenschaftlern aus Singapur reduzierten Patienten mit chronischer Verstopfung ihre Ballaststoffaufnahme auf ein möglichst geringes Maß. Das spektakuläre Ergebnis: Die Patienten berichteten nun tägliche Stuhlgänge, während sie zuvor nur aller vier Tage ihren Darm entleeren konnten (Ho et al.,2012). Zusätzlich verbesserten sich die mit der Verstopfung assoziierten Symptome wie Bauchschmerzen, Pressen beim Stuhlgang etc. Jene armen Probanden, die eine ballaststoffreiche Ernährung beibehielten, konnten sich nur alle sieben Tage über einen Stuhlgang freuen ... 

 

Ballaststoffe können also die Beschwerden des Reizdarms verschlimmern. Doch mein eigentliches Argument war ja gewesen, dass das Befolgen von Dr. Wimmers Empfehlungen deine biologischen Krankheitsprozesse verstärken könne. Wie sieht es nun damit aus?

 

Ballaststoffe verstärken im Rahmen chronischer Darmerkrankungen Entzündungen

In einer schon beinahe Paradigma-zertrümmernden Studie, an der auch die beiden Mikrobiom-Experten Dr. Erica und Dr. Justin Sonnenburg beteiligt waren, zeigte sich im letzten Jahr, dass die Empfehlung der erhöhten Ballaststoffzufuhr gerade für Betroffene chronischer Erkrankungen hochproblematisch sein kann. Die Wissenschaftler der Stanford University setzten ihre Probanden entweder auf eine ballaststoffreiche Diät oder wiesen diese an, regelmäßig fermentierte Nahrungsmittel wie Kefir, Kimchi und Sauerkraut zu verzehren. Letztere Gruppe behielt die Gesamtzufuhr ihrer Ballaststoffe aber bei. Das eigentliche Ziel der Forscher lag in der Modulierung verschiedener Parameter der Darmflora. 

 

Nach einigen Wochen zeigte sich ein für die Forscher schockierendes Ergebnis: Wider Erwarten hatte der vermehrte Konsum der doch so gesunden Faserstoffe in einer signifikanten Gruppe von Teilnehmern das Immunsystem deutlich aktiviert und bestehende Entzündungen verstärkt (Wastyk et al.,2021). Im Studienarm mit den fermentierten Lebensmitteln wurde kein solcher negativer Effekt dokumentiert. 

 

Abb1: Eine erhöhte Ballaststoffzufuhr verstärkte in einer Subgruppe von Teilnehmern entzündliche Prozesse. Dieses Phänomen war sowohl mit einer erhöhten Entzündungslast zu Beginn der Studie als auch einer Dysbiose des Mikrobioms assoziiert.
Abb1: Eine erhöhte Ballaststoffzufuhr verstärkte in einer Subgruppe von Teilnehmern entzündliche Prozesse. Dieses Phänomen war sowohl mit einer erhöhten Entzündungslast zu Beginn der Studie als auch einer Dysbiose des Mikrobioms assoziiert.

Was war da nur passiert? Warum zeigten die Ballaststoffe, die ja definitiv viele positive Eigenschaften und Funktionen für die Darm- und allgemeine Gesundheit aufweisen (z.B. Gill et al.,2021; Veronese et al.,2018) hier ihre "dunkle Seite"? Auch die Forscher aus Stanford stellten sich diese Frage und konnten diese durch ihre tiefgreifende Analyse auch beantworten: Der Effekt der Faserstoffe auf das Immunsystem war abhängig von der Ausprägung der Darmflora und der Entzündungslast VOR Beginn der Intervention. Litten die Probanden bereits unter einer Aktivierung des Immunsystems und einer Dysbiose der Darmflora (vor allem einer herabgesetzten Artenvielfalt/Biodiversität), dann wirkten die Ballaststoffe wie Benzin, das man in ein Feuer gießt

Nun darfst Du dreimal raten, wer unter einer Dysbiose der Darmflora mit herabgesetzter Biodiversität und einer chronischen Immunaktivierung leidet. Richtig! Beides sind zentrale Krankheitsmechanismen des Reizdarmsyndroms (Hughes et al.,2013; Sinagra et al.,2016; Wang et al.,2020). Der gleiche Befund gilt aber auch für Patienten mit chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen, Chronischem Erschöpfungssyndrom (CFS/ME), Histaminintoleranz (HIT) oder Systemischen Mastzellaktivierungssyndrom (MCAS), Fibromyalgie, Depressionen ...

 

Noch einmal ganz deutlich: Ist Deine Darmflora in einem schlechten Zustand und bestehen deshalb deutliche Entzündungsneigungen, können zu viele Ballaststoffe diesen Zustand weiter verschlimmern! Du erweist Dir also einen Bärendienst, weil Du aufgrund der Aussagen vieler Ärzte und Ernährungsexperten glaubst, etwas gutes für deine Darmgesundheit zu tun, in Wahrheit aber Symptome und Pathophysiologie des Reizdarms befeuerst. 

 

Noch eine Nebenbemerkung zur angesprochenen Stanford-Studie: Die Ergebnisse der Untersuchung verdeutlichen außerdem, dass eine ballaststoffreiche Ernährung nicht geeignet ist, um die Darmflora zu modulieren. Die Erhöhung der Faserstoffe wirkte sich also nicht signifikant auf Dysbiose und mangelnde Biodiversität aus. Im Gegensatz dazu veränderten die fermentierten Produkte das Darmmilieu positiv. 

 

Es geht also um den Kontext: Ballaststoffe haben wichtige Eigenschaften für die Gesunderhaltung des Magen-Darm-Traktes und auch protektive Effekte gegenüber vielen Erkrankungen, wenn Deine Darmflora einigermaßen intakt ist. Dann und erst dann solltest Du ballaststoffbetont essen, um Deine Gesundheit weiter zu fördern. Bis dahin solltest Du aber auf zu viele Faserstoffe verzichten und durch eine gesunde Mittelmeer-Kost, regelmäßiges Fasten und die Einführung fermentierter Produkte an deiner Darmflora arbeiten. Dazu findest Du unter anderem unendlich viele praktische Tipps auf diesem Blog, dem zugehörigen YouTube-Kanal oder in meinem Buch "Dein Reizdarm ist heilbar!" (humboldt,2022). 

 

FAZIT: Dieser Empfehlung von Dr. Wimmer bedenkenlos zu folgen kann für Dich ordentlich nach hinten losgehen!

 

Empfehlung II: Deine Darmflora braucht mehr Inulin!

Neben den Ballaststoffen betont Dr. Wimmer im Video besonders die Wichtigkeit des Präbiotikums Inulin für die optimale Gesundheit Deiner Darmflora. Inulin ist ein Gemisch von Polysacchariden aus Fruktosebausteinen und mit einem Glukoserest. Ein Präbiotikum ist dadurch charakterisiert, dass es selektiv gesundheitsförderliche (probiotische) Mikroorganismen anfüttert. Dass die Vermehrung probiotischer Darmbakterien nicht immer vorteilhaft sein muss, belegen die negativen Auswirkungen von Probiotika im Rahmen der Dünndarmfehlbesiedlung (Rao et al.,2018). 

 

Auch die Inulin-Empfehlung sollte aufgrund der wissenschaftlichen Datenlage kritisch hinterfragt werden. Dabei können wir grundsätzlich dem bei den Ballaststoffen bewährten Schema treu bleiben. 

 

Inulin verschlimmert häufig die Beschwerden des Reizdarmsyndroms

Erst einmal ist wichtig, dass Inulin trotz seiner Kettenlänge zu den FODMAPs (kurzkettige fermentierbare Kohlenhydrate) gehört. FODMAPs sind für den menschlichen Gastrointestinaltrakt nur schwer verdaulich und werden primär durch die Mikroorganismen der Darmflora fermentiert, wodurch es zu Gasansammlungen und über osmotische Effekte zu Stuhlveränderungen kommen kann. Die inzwischen unter den Patienten sehr bekannte Low-FODMAP-Diät (also eine Reduktion der spezifischen Kohlenhydrate in der täglichen Ernährung der Patienten) führt nachweislich zu verminderten Symptomen (Hahn et al.,2021). Auch Inulin verfügt über ein bedeutendes Potenzial zur Gasbildung und kann dadurch die Symptome von RDS-Betroffenen verstärken (Gunn et al.,2022Wilson & Whelan,2016). 

 

Inulin verstärkt die TYP-II-Inflammation im Rahmen von Reizdarmsyndrom und Nahrungsmittelallergie

Doch wie bei den Ballaststoffen auch sind mehr und heftigere Beschwerden das geringste Übel, um welches Du dir mit einer Inulin-reichen Ernährung Sorgen machen solltest. New Yorker Forscher zeigten kürzlich, dass eine Inulin-angereicherte Kost die Darmflora veränderte dahingehend veränderte, dass mehr Gallensäuren durch die Mikroorganismen produziert wurden. Diese metabolische Verschiebung war assoziiert mit einer Aktivierung bzw. Verstärkung der Typ-II-Inflammation, die besonders bei der Abwehr von Helminthen (parasitären Würmern) und im Rahmen allergischer Erkrankungen eine Rolle spielt (Arifuzzaman et al.,2022). Beobachtet werden konnte die Vermehrung von Interleukin-33, die Aktivierung von Lymphozyten und eine Eosinophilie. Der Verzehr von Inulin verstärkte also die Krankheitsprozesse allergischer Erkrankungen

 

Auch die Typ-II-Inflammation ist in die Pathologie des Reizdarms und der chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen verwoben. Dies hat damit zu tun, dass bei unserer Erkrankung insbesondere Eosinophilen und Mastzellen überaktiviert sind und eine allergieähnliche Situation erzeugen (Walker et al.,2011). Nicht umsonst sind allergische Erkrankungen wie Asthma eng mit dem Reizdarmsyndrom verzahnt und es liegt eine häufige Komorbidität vor (Deshmukh et al.,2019). 

 

Abb2: Typ-II-Inflammation und chronische Darmerkrankungen. Interleukin 33 aktiviert ILC2-Zellen, welche daraufhin IL5 und IL13 produzieren und somit die Entzündung des Darmes befördern bzw. aufrechterhalten. (Luo & Villablanca,2021)
Abb2: Typ-II-Inflammation und chronische Darmerkrankungen. Interleukin 33 aktiviert ILC2-Zellen, welche daraufhin IL5 und IL13 produzieren und somit die Entzündung des Darmes befördern bzw. aufrechterhalten. (Luo & Villablanca,2021)

Auch in diesem Falle ist der Kontext der Empfehlung entscheidend. Auch die New Yorker Forscher betonen, dass Inulin nun nicht per se als bedrohlich eingeschätzt werden sollte. Für gesunde Menschen könnte die Anregung dieser Immunantwort unter Umständen sogar wünschenswert sein. Für einen Organismus allerdings, der ohnehin mit einem derangierten Immunsystem zu kämpfen hat, könnte der zusätzliche Störfaktor eine Regeneration behindern oder die Pathogenese, wie für das Asthma nachgewiesen, weiter befeuern. 

 

Auch diese Empfehlung könnte für dich also absolut kontraproduktiv sein. 

 

Fazit: Hinterfrage auch Experten kritisch und achte auf "Red Flags"

Mit diesem Artikel möchte ich wie bereits geschrieben keineswegs an der medizinischen Kompetenz Dr. Wimmers rütteln. Vielmehr möchte ich Deinen kritischen Blick schärfen und Dich dazu ermutigen, auch die Aussagen von Experten zu hinterfragen bzw. diese mit der wissenschaftlichen Datenlage abzugleichen. Dies gilt natürlich auch für mich selbst! Ich bin zwar weder Arzt noch Forscher, doch aufgrund meiner inzwischen 12 Jahre andauernden Recherche- und Publikationsarbeit bekomme ich dieses Label manchmal angeheftet. Ich entgegne dann immer, dass ich nicht mehr bin und sein will als ein "gut informierter Patient". 

 

Es ist nicht immer ganz leicht, im Informationsdschungel Internet den Überblick zu behalten. Welche Informationen sind glaubhaft, welche nicht? Einige Dinge (Red Flags) sollten Dich aber besonders wachsam sein lassen:

 

Einfache und verallgemeinernde Antworten

Mir ist durchaus bewusst, dass geistige Tiefe und komplexe Gedankengänge in der heutigen Zeit nicht mehr besonders gefragt sind. Sie lassen sich schlicht und ergreifend nicht so sexy verpacken und gewinnbringend vermarkten. Wenn Dr. Wimmer allerdings in nur acht Minuten über die Darmflora, deren engen Zusammenhang mit chronischen Zivilisationserkrankungen oder wichtigen Neurotransmittern und sogar noch deren Gesunderhaltung durch Ernährung referiert, sollte Dich das schon stutzig machen. Wie soll ein solch komplexes Themenfeld dermaßen vereinfacht auch nur annähernd korrekt widergespiegelt werden? 

Dr. Wimmers Aussagen in dem hier besprochenen Video sind nicht gänzlich falsch. Für einige Menschen können seine Empfehlungen hilfreich sein. Aber aufgrund der Verkürzung nimmt er eben auch in Kauf, dass sich zahllose Menschen weiter schaden. Die Schlüsselelemente für den negativen Effekt der Ballaststoffe oder des Inulins waren eine bereits gestörte Darmflora und/oder eine erhöhte Entzündungslast. Dies betrifft im deutschsprachigen Raum etwa 15 Millionen Reizdarm-Patienten. Hinzu kommen nach aktueller Datenlage Betroffene von Diabetes, Depressionen usw. - Erkrankungen, die mit einer erheblichen Dysbiose der Darmflora assoziiert sind. 

 

Vereinfachte Allgemeinplätze wie "Stell Deine Ernährung einfach auf Rohkost um!", "Du musst essen wie ein Steinzeitmensch!" oder eben "Iss viele Ballaststoffe!" werden der hochkomplexen Realität menschlichen Lebens und Leidens nicht gerecht. Und: Die Wissenschaft zeigt auf, dass diese Verkürzungen schlicht und ergreifend falsch sind, auch wenn sie noch so verlockend klingen mögen.

 

Persönliche Bias als Marketing-Label

Aufmerken lassen sollte Dich außerdem, wenn sich Mediziner, Therapeuten oder Gesundheits-Influencer bereits durch ihre Marken einer bestimmten Denkschule zuordnen oder regelmäßig ihre Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe betonen. Was meine ich damit?

Leider ist es zur unschönen Gewohnheit geworden, sich immer und überall positionieren und einordnen zu müssen. Dies ist eine Unsitte, die freies und kreatives Denken boykottiert. Traust du einem Therapeuten, die sich selbst Vegan-Paul, Rohkost-Marie, Dr. Paleo oder meinetwegen auch Fasting-Joe zu, dass diese frei und neutral über Studien berichten, die nicht zu ihrem Label passen? Ich kann einfach nicht verstehen, wie man sich selbst seiner wissenschaftlichen Freiheit berauben kann, indem man sich ein solches Etikett aufklebt. Damit möchte ich natürlich keinesfalls behaupten, dass ich gänzlich frei von Vorlieben und Abneigungen wäre, die meine Publikationen beeinflussen und lenken. Aber ich kann über Dr. Chibas Erfolge mit der semi-vegetarischen Diät bei chronischen Darmerkrankungen genauso vorurteilsfrei berichten, wie über Dr. Longos herausragende Experimente mit der annähernd veganen Kost oder die Interventionsstudien mit dem Paleo-Autoimmun-Protokoll. Außerdem fällt es mir nicht schwer, Ansichten und Aussagen zu korrigieren, wenn sich der Forschungsstand ändert, was ich in der Vergangenheit auch schon mehrfach getan habe. Ist so etwas möglich, wenn mein Kanal mit 125.000 Abonnenten "Vegan-Thomas" hieße? Aber ich schweife ab ... 

 

Dieses Problem mit den eifrig verklebten Etiketten besteht übrigens nicht nur für die verschiedenen Ernährungsformen. Ganz ähnlich verhält es sich mit dem künstlichen Graben zwischen Schulmedizin und Komplementärmedizin. Unfassbar wie schnell hier wertvolle Therapieansätze abqualifiziert werden, weil sie vielleicht traditionell in eine der beiden Kategorien gehörten. Dass Behandlungsmethoden auch einmal schnell die "Spur wechseln" können, sehen wir am Fasten, der Kneipp-Therapie oder der Hypnotherapie.

 

Mir ist ganz gleich, ob Homöopathie, Stuhltransplantation, künstliche Intelligenz, Pharmakologie oder Fasten. Wenn eine dieser Strategien in einer hochwertigen Studie deutliche Vorteile gegenüber Plazebo zeigt, dann berichte ich darüber. Das Wohlbefinden meiner Leidensgenossen liegt mir hier deutlich mehr am Herzen als das Recht-behalten oder irgendwelche Ideologien! 

 

In diesem Sinne wünsche ich Dir alles Liebe und schnelle Genesung - Dein Thomas

 

Dir hat dieser Artikel gefallen und Du möchtest gern mehr davon?

Dann unterstütze meine für Betroffene völlig kostenfreie Arbeit, indem Du andere auf meine Arbeit aufmerksam machst oder mir einen leckeren Espresso für die Recherche des nächsten Themas spendierst. Ich danke Dir von Herzen! 

Abbildungsverzeichnis

Abb1

Wastyk HC, Fragiadakis GK, Perelman D, Dahan D, Merrill BD, Yu FB, Topf M, Gonzalez CG, Van Treuren W, Han S, Robinson JL, Elias JE, Sonnenburg ED, Gardner CD, Sonnenburg JL. Gut-microbiota-targeted diets modulate human immune status. Cell. 2021 Aug 5;184(16):4137-4153.e14. doi: 10.1016/j.cell.2021.06.019. Epub 2021 Jul 12. PMID: 34256014; PMCID: PMC9020749.

 

Abb2

Luo X, Villablanca EJ. Type 2 immunity in intestinal homeostasis and inflammatory bowel disease. Biochem Soc Trans. 2021 Nov 1;49(5):2371-2380. doi: 10.1042/BST20210535. PMID: 34581755; PMCID: PMC8589436.

 

 

Creative Commons License

Kommentar schreiben

Kommentare: 1
  • #1

    Regina (Freitag, 06 Januar 2023 16:41)

    Hallo lieber Thomas,
    mal wieder ein genialer Artikel!

    Dr. Wimmer kenne ich zwar nicht, aber ich gucke viele Videos von Dr. Gregor (nutritionsfacts.org). Ich bin zwar ein großer Fan seiner Videos, allerdings hast du Recht: Er hat sich der pflanzenbasierten Ernährung verschrieben, liebt Ballaststoffe über alles und lange habe ich mich dazu überwunden, so zu essen, wie er es empfiehlt. Doch Vollkornnudeln und Hülsenfrüchte triggern meinen Reizdarm einfach zu krass. Mit weißem Reis und Fleisch geht es mir besser. Selbst wenn es fettig ist oder scharf ist. Dieser Artikel hat mir auch nochmal die Augen geöffnet. Es ist so verrückt, dass wir teilweise "Experten" mehr vertrauen als unseren eigenen Erfahrungen. Du bist der einzig wahre Reizdarm Experte und 1.000.000X Millionen Dank an dich. Ich kann seit einiger Zeit schon wieder normal leben mit nur noch kleinen Reizdarm Problem. Stuhlgang wieder voll normal und angenehm (davor 10 mal pro Tag Durchfall). Habe "nur" noch nach dem Essen Krämpfe und Blähungen und so ne doofe Druckempfindlichkeit am Bauch. Aber auch das wird noch weggehen.

    Danke dir Thomas! <3