Der mächtige Plazebo-Effekt und warum man ihn nutzen sollte

Gestern hörte ich in einem Podcast über Ernährungspsychologie eine Geschichte, welche mir schon einmal von einem meiner Professoren erzählt worden war:

Im Rahmen einer wissenschaftlichen Untersuchung zur Wirksamkeit eines neuen Krebsmedikamentes erhielten Patienten entweder eine Pille mit dem entsprechenden Wirkstoff oder ein Plazebo. Das interessanteste, aber auch gruseligste, Phänomen an dem Versuch war, dass bei einem Großteil der Plazebogruppe Nebenwirkungen eintraten, die eigentlich nur in der Wirkstoffgruppe erwartet wurden. Dazu gehörte bspw. massiver Haarausfall.


Leider wurde auch dieses Mal auf eine Quellenangabe verzichtet. Kann so etwas, wie oben in der kurzen Zusammenfassung geschildert, wirklich passieren? Ist der Plazeboeffekt wirklich so mächtig, dass er uns viel nutzen, aber auch übel schaden kann? Haben die vielen Esoteriker mit ihrem Leitspruch "man muss nur fest glauben" doch recht?


Zumindest zu einem großen Teil, wie auch neueste Untersuchungen wieder gezeigt haben ...



Der Plazebo-Effekt - Freund oder Feind?

Noch vor einigen Jahren war der Plazebo-Effekt so etwas wie mein persönlicher Feind. Ich steckte noch mitten im Grundstudium und war der festen Überzeugung, dass nur wissenschaftlich belegte und klinisch erprobte Verfahren zum Einsatz kommen dürften. Alles andere wäre Betrug an den Patienten. Der Plazebo-Effekt war ein Betrüger!

Ich scheute auch nicht davor zurück, Menschen in Foren ihre Therapien madig zu reden, weil sie eben nicht evidence-based waren. Das müssen Sie sich einmal vorstellen! Ich, der damals selber noch auf der Suche nach den richtigen Therapiemöglichkeiten war, versuchte Betroffenen etwas auszureden, was für eben diese Menschen gut funktioniert hatte. Denn Plazebo-Effekt erst einmal hin oder her ... die genannten Betroffenen hatten ihre Beschwerden gelindert und neue Hoffnung geschöpft. Was für ein verblendeter Besserwisser ich doch damals manchmal war.


Heute betrachte ich den Plazebo-Effekt viel differenzierter. Vor allem sehe ich ihn nicht mehr als Gegenpol zu einer wirksamen Behandlung. Er kann nämlich u.a. eine sehr gute Ergänzung dazu sein, doch dazu später mehr.


Wie stark ist der Plazebo-Effekt wirklich?

Wir wissen, dass der Plazebo-Effekt gerade beim Reizdarm-Syndrom stark ausgeprägt ist. Die Patienten sprechen gut auf Plazebo-Gaben an und berichten über gute Symptomverbesserungen. Nehmen wir uns als Beispiel Vergleichsstudien mit Rifaximin heran:


Menees und Kollegen (2012) prüften die Ergebnisse eben solcher Studien in einer Metaanalyse. Sowohl Rifaximin als auch Plazebo verbesserten die globalen Symptomwerte. Der therapeutic gain, also die therapeutische Überlegenheit des Breitbandantibiotikums gegenüber Plazebo lag bei noch nicht einmal 10%, was recht wenig ist.

Wenn man sich dies auf der Zunge zergehen lässt, sollte man noch bedenken, dass Rifaximin erst kürzlich von der FDA als Medikament zur Behandlung von RDS-D zugelassen wurde. So seltsam und vielleicht ethisch-problematisch es auch klingen mag: Seine in vielen Studien immer wieder auftretenden symptomlindernden Eigenschaften müssten das Plazebo eigentlich zum nächsten Kandidaten für eine Zulassung für RDS machen!


Sie glauben jetzt vielleicht, dass die Verbesserung über selbsteinschätzbare Scores einfach nur Hoffnung und Stimmungslage der Versuchspersonen widerspiegelt?


Weihrauch und Gauler (1999) berichten darüber, dass es in Plazebo-Versuchen mit Herzpatienten zu klassischen Effekten der Medikation kam, u.a. Tachykardien. Manche unerwünschten Wirkungen traten sogar in der Plazebogruppe häufiger auf, als in der Wirkstoffgruppe.

Die Autoren schließen: Plazebotherapie ist immer wieder effektiv und kann deshalb nicht als Nicht-Therapie verstanden werden. Die Mechanismen hinter dem Plazebo sind vielfältig und variieren (bspw. Endorphin-Freisetzung und Konditionierung).



Der Bericht über die Tachykardien erinnert doch übrigens sehr an das im Teaser angeführte Beispiel, oder?


Wie können wir den Plazebo-Effekt nutzen?

Der erste große Schritt ist bereits getan, wenn wir endlich anerkennen, dass unsere Erwartungen, Gefühle, Gedanken und Überzeugungen einen erheblichen Einfluss auf unseren Körper, seine physiologischen Vorgänge und letztendlich unsere Gesundheit haben. Früher glaube ich bspw., dass es ausreicht, einfach nur die richtigen Dinge zu essen und ein paar Supplemente zu schlucken. Ich tat genau das, was meine amerikanischen Mentoren mir aufschrieben oder per Skype erzählten. Doch so einfach war es dann natürlich nicht.

Dazu muss man wissen, dass ich eher zu den Skeptikern, manche würden mich wohl eher Zweifler nennen, gehöre und generell den Dingen mit einer gehörigen Portion Misstrauen begegne. Hinzu kam, dass ich in meiner "Reizdarmkarriere" noch an viele "Therapeuten" gekommen bin, die meine Vorurteile viel zu oft bestätigten.


Jetzt schauen wir uns noch einmal die oben gepostete wissenschaftliche Arbeit an: Allein der Glauben daran, man würde eine Pille mit kardiovaskulärer Wirkung schlucken, führte wiederholt zu Tachykardien, d.h. dem dauerhaften Hochschießen des Pulses auf weit über 100 Schläge/Minute.

Können Sie sich vorstellen, was passiert, wenn wir RDS-Betroffene bestimmten Lebensmitteln oder dem Essen an sich, mit Argwohn gegenüberstehen? Was geschieht wohl beim Einführen neuer FODMAPs, wenn wir ahnen, dass die Knoblauchzehe uns schmerzhafte Blähungen bescheren wird?

Können wir dann mit den "unerwünschten Wirkungen" des evtl. Placebos "Knoblauchzehe" rechnen? Zumindest steigt wohl die Wahrscheinlichkeit.

Können wir von einer Therapie erwarten, dass sie uns entsprechend hilft, wenn wir ihr mit einer gehörigen Portion Misstrauen begegnen, oder können sich diese Gedanken und Erwartungen ebenfalls negativ auf den Therapieerfolg auswirken?


Sollten wir vielleicht unserer gewählten Strategie mehr Vertrauen schenken? Vielleicht ist es hilfreich, bei jedem SCD-Bissen zu denken: "Jetzt esse ich etwas Gutes für mein Mikrobiom. Es wird biodiverser, bildet weniger Endotoxine, schützte die Darmschleimhaut besser. Böse Bakterien sterben ab."

Denn der Glaube allein kann bekanntlich Berge versetzen: So wissen wir, dass Akupunktur bei vielen Leiden hilft. Sie hilft oft auch besser als eine Plazebo-Pille. Sie funktioniert sogar, wenn die Nadeln "irgendwo" und nicht entlang eines Meridianes oder Energiepunktes gestochen wird. Vermittelt wird das Ganze über den Glauben an die Methode. Wer von den Ideen der TCM überzeugt ist, wird letztendlich auch bessere Ergebnisse berichten.

Genau hier möchte ich das Ausrufezeichen dieses Artikels setzen. Die Erfolge unserer inneren Haltung gehen über die subjektive Selbsteinschätzung weit hinaus! Es werden physiologische Prozesse in Gang gesetzt (bspw.  eben Endorphine), welche den Heilungsprozess unterstützen und das Beibehalten der Strategie erleichtern.


Wenn Sie sich einige der bekannten Methoden aus Ernährungsumstellung, Supplementen etc. herausgreifen, welche über eine gute Datenlage verfügen und deren Wirkmechanismen bekannt sind. Wie stark werden diese Strategien erst helfen, wenn Sie auch noch an sie glauben und zwar mit aller Kraft und dem ganzen Herzen? Sie müssen sich die Heilung wünschen und Sie müssen fest davon überzeugt sein, dass Ihr persönlicher Weg Sie zum Ziel führen wird. Genauso ist es aber auch andersrum: Wenn Sie das nächste Mal schummeln, dann denken Sie bitte nicht: "Ohje, diese Pizza wird mir morgen viel Ärger bereiten. Ich habe wieder einmal versagt", sondern "Ah das hat mal gut getan. Morgen kann ich wieder voller Kraft und Durchhaltevermögen meine Diät befolgen!"


Bleiben Sie positiv und nutzen Sie den Plazebo-Effekt, wo und wann Sie nur können.

Er ist sehr mächtig!