Immer noch Durchfall? Frei verkäufliches Medikament geht an die Ursachen!

Durchfall gehört zu den häufigsten und einschränkendsten Symptomen des Reizdarmsyndroms. Sehr häufig sind Nahrungsmittelallergien und Mastzellaktivierung an der Genese beteiligt. Bild: Michael Ottersbach/pixelio.de
Durchfall gehört zu den häufigsten und einschränkendsten Symptomen des Reizdarmsyndroms. Sehr häufig sind Nahrungsmittelallergien und Mastzellaktivierung an der Genese beteiligt. Bild: Michael Ottersbach/pixelio.de

Jeder Morgen beginnt für viele Menschen mit einem Gang zur Toilette. Einige brauchen erst ein Frühstück, die anderen einen kräftigen Kaffee und so mancher nimmt sich seine Tageszeitung zum gemütlichen Schmökern mit. Denn "Geschäftszeit"  ist Ruhezeit - aber nicht für uns Darmpatienten mit chronischem Durchfall. Wir brauchen weder einen Kaffee, noch können wir den Vorgang mal so eben - quasi routinemäßig - vollziehen. Viele von uns werden von Schmerzen und Krämpfen auf das "stille Örtchen" getrieben und so "still" wie in dieser Metapher geht es dann oft auch nicht zu. Sehen wir dem Übel ins Auge: Durchfall ist unangenehm, peinlich, geht oft mit Schmerzen einher, riecht und klingt "auffällig" und ist manchmal sogar noch mit anderen Symptomen verbunden, Übelkeit zum Beispiel.

Dabei ist es noch ein recht angenehmes Szenario, wenn der Durchfall schön regelmäßig morgens kommt und uns nach einigen "Gängen" für den Tag über in Ruhe lässt. Doch viel häufiger gleicht der Alltag von Reizdarmbetroffenen irgendetwas zwischen Spießrutenlauf und Schatzsuche: Immer in der Angst vor der nächsten Attacke, immer in der Nähe einer öffentlichen Toilette. Unbeschreiblich auch die Scham oder die Angst, dass andere von unserem ungeliebten Symptom etwas mitbekommen könnten. So sehr wir öffentliche Stadttoiletten, Klos in Restaurants und Raststätten hassen, so oft müssen sie viele von uns leider frequentieren ...

 

Die pharmazeutische Medizin hat bisher leider nicht viel anzubieten, was den Durchfall dauerhaft besänftigt. Standardmedikamente wie Loperamid wirken symptomatisch und bringen einige Nachteile mit sich. Viele Reizdarmpatienten beschreiben unangenehme Nebenwirkungen (vor allem Mundtrockenheit, Benommenheit und "brain fog", sowie Übelkeit) und Toleranzbildung. Außerdem hat Loperamid keinen Einfluss auf Blähungen und Krämpfe bzw. Bauchschmerzen. Gemeinsam mit dem "Lahmlegen" der Darmmuskulatur kann dies dazu führen, dass letztere Symptome nur umso intensiver gespürt werden. Neuere Medikamente wie Ramosetron (Japan) und Eluxadolin (USA) stehen in Deutschland leider noch nicht zur Verfügung. Viele Professoren bezweifeln inzwischen anhand der Datenlage, dass Eluxadolin der große Schritt sein wird, auf den viele Patienten hoffen und den die Hersteller (natürlich) beschreien.

 

Es gibt allerdings ein Medikament, welches eine gute Datenlage bei der Behandlung von Durchfall im Rahmen eines Reizdarmsyndroms aufweist, wenig Nebenwirkungen hat und auch noch frei verkäuflich ist. Die Forschungen stammen meist aus den 90er Jahren, danach schien das Thema - warum auch immer - wieder in Vergessenheit zu geraten. Seltsam, denn das Medikament wirkt direkt auf einen der heute evidentesten Pathomechanismen bzw. eine der Ursachen des Reizdarmsyndroms!

 


Mastzellen sind der Schlüssel zum Rätsel Reizdarmsyndrom

Wer noch nichts von der Beteiligung der Mastzellen an der Pathogenese des Reizdarmsyndroms gehört oder gelesen hat, der hat wohl die letzten zehn Jahre Wissenschaft im Bereich Gastroenterologie verschlafen. Unzählige Studien weisen darauf hin, dass besonders Patienten mit dem Hauptsymptom Durchfall unter einer Vermehrung und/oder Überaktivierung der Mastzellen leiden. Dies geht mit einer gesteigerten Motilität (O Sullivan et al., 2016), stärkeren Bauchschmerzen (Barbara et al., 2004) und sogar Erschöpfung und depressiver Verstimmung einher (Piche et al., 2016)!

 

Um noch einmal zu verdeutlichen, WIE beeindruckend die Datenlage zum Thema tatsächlich ist, noch einmal zwei Titel vergangener Fachartikel zum Thema Reizdarmsyndrom. Bitte achten Sie auf die Formulierungen der Forscher:

  1. Das Reizdarmsyndrom - eine entzündliche Erkrankung mit Mastzellbeteiligung (Philpott et al., 2011)
  2. Mastzellen könnten der Hauptschlüssel sein, um das Mysterium der Reizdarmpathogenese zu lösen (Yoon, 2016)

Trotz dieser geradezu euphorischen Rezeption der unzähligen positiven Studienergebnisse, welche die Beteiligung der Mastzellen am Reizdarmsyndrom (mit Durchfall) beweisen, blieben die Auswirkungen auf die Patientengemeinde nahezu unbemerkt. Dabei wies Professor Taumann 2015 auf einer Tagung darauf hin, dass ca. 75% der Reizdarmpatienten unter einer Mastzellaktivierung leiden - 75%! (zur Präsentation)

Die Kluft zwischen theoretischer Forschung und praktischer Verwertung bewegte einige Wissenschaftler dazu, sich für den Übergang "from bench to bedside", also aus den Laboratorien direkt zu den Patienten einzusetzen (bspw. Zhang et al., 2016). Warum die pharmakologische Forschung hier hinterher hinkt und sich lieber auf andere Mechanismen des RDS konzentriert scheint mir immer noch ein schier unlösbares Rätsel.

 

Dennoch gibt es einige Anhaltspunkte für die Wirksamkeit mastzellbeeinflussender Medikamente beim Reizdarmsyndrom.

 

Mastzellen stabilisieren - Durchfall stoppen

Zu unserem Glück gerieten die Mastzellen schon einmal früher ins Auge der Forscher, wenn auch aus einem eigentlich anderen Grund: Etwa 30-40% der Reizdarmpatienten zeigen vermehrte igE-Antworten auf verschiedene Lebensmittel (Weizen, Hefe, Milchproteine usw.), leiden also unter einer Nahrungsmittelallergie (z.B. Mekkel und Kollegen, 2005). Diese Erkenntnis bewog die Wissenschaftler dazu, die IgE-vermittelte Allergie (nicht mit IgG verwechseln!) als Ursache für die Symptome anzunehmen und ihre Patienten allergietypisch zu behandeln. Dies beinhaltet u.a. die Gabe von Mastzellstabilisatoren und Antihistaminika, da einer der Kernbereiche der Mastzellen die allergische Reaktion ist. Schauen wir uns einmal an, was mit den Reizdarmsymptomen passierte, wenn man die Mastzellen so stabilisierte.

 

Cromoglicinsäure ist Eliminationsdiät bei Reizdarm mit Durchfall überlegen

Stefanini und Kollegen (1995) behandelten 409 RDS-D-Patienten nach einer umfassenden Diagnostik entweder mit einer Eliminationsdiät oder Cromoglicinsäure (1500mg). Beide Therapien verminderten innerhalb von nur vier Wochen signifikant die Hauptsymtome Durchfall, Bauchschmerz, Unwohlsein, unvollständige Darmentleerung. Besonders profitierten Teilnehmer mit einem positiven Prick-Test.

 

Cromoglicinsäure war der Eliminationsdiät nicht nur in Sachen Symptomreduktion überlegen, es kam überraschend auch zu weniger Nebenwirkungen. Die häufigste unerwünschte Wirkung war Übelkeit und betraf fünf Patienten der Gesamtstichprobe.

 

Cromoglicinsäure wirkt auch für Reizdarmpatienten ohne erkennbare Allergiebeteiligung

Bereits 1992 hatten Stefanini und Kollegen 101 Reizdarmpatienten mit Durchfall untersucht und therapiert. Die Teilnehmer erhielten 3x500mg Cromoglicinsäure und zeigten signifikante Verbesserungen.

 

Hierbei profitierten nicht nur Patienten mit positivem Allergiescreening (67%), sondern auch jene Durchfallpatienten, welche keine typischen Laborwerte für eine Allergiebeteiligung zeigten (41%).

 

97% der Kinder mit Durchfall zeigten signifikante Verbesserungen mit Cromoglicinsäure

Grazioli und Kollegen (1993) behandelten 153 Kinder mit dem Reizdarmsyndrom und täglichen Durchfällen entweder mit einer Eliminationsdiät oder Cromoglicinsäure. Nur 17% der teilnehmenden Kinder hatten einen positiven Allergietest zu berichten.

 

Während 87% der Kinder von der extrem strengen Diät profitierten, zeigten sage und schreibe 97% mit Cromoglicinsäure signifikante Verbesserungen. Die Compliance mit der Diät war schlecht und die Autoren weisen noch einmal darauf hin, dass es zu Mangelversorgungen kommen könne.

 

Cromoglicinsäure plus diätetische Umstellung verspricht Symptomverbesserungen über einen langen Zeitraum

Leri und Kollegen (1997) behandelten 120 Reizdarmpatienten mit Durchfall mittels Eliminationsdiät oder Eliminationsdiät plus Cromoglicinsäure (4x250mg).

 

Obwohl nur knapp die Hälfte der Teilnehmer einen positiven Prick-Test zeigte, profitierten 89% der Cromoglicingruppe signifikant. Die Autoren schließen nach mehreren Monaten, dass die Therapie für Responder einer langfristigen Erfolg (kein Plazebo!) verspricht.

 

 

Cromoglicinsäure aus der Apotheke

Ich möchte hier ausdrücklich darauf hinweisen, dass ich kein Arzt bin und jeder Leserin, jedem Leser dringend rate, jegliche Medimkamenteneinnahme, egal ob verschreibungspflichtig oder eben nicht, immer mit dem behandelnden Haus- oder Facharzt abzusprechen. Die Ausführungen auf diesem Blog basieren lediglich auf den vorgestellten Studienergebnissen und persönlichen Erfahrungen.

 

Cromoglicinsäure wird zur Vorbeugung allergischer Reaktionen eingesetzt. Ihre Wirkungsweise erzielt sie durch das Blockieren von Chloridkanälen in den Mastzellen und hindert diese somit an der Freisetzung entzündlicher Mediatoren (bspw. Histamin). Dieser therapeutische Effekt kommt auch einer idiopathischen Mastzellaktivierung (siehe oben) zugute, welche beim Reizdarmsyndrom sehr evident ist. Aufgrund der kurzen Halbwertszeit muss Cromoglicinsäure mehrfach täglich, vor der Nahrungsaufnahme eingenommen werden. Sie ist auch bei Langzeitanwendung gut verträglich.

 

Cromoglicinsäure weist ein sehr positives Nebenwirkungsspektrum auf. Beobachtet wurden v.a. Reaktionen der Haut (Ausschläge, Juckreiz), Gelenkschmerzen und Übelkeit.

 

Cromoglicinsäure gibt es frei verkäuflich in der Apotheke oder über viele Versandapotheken (siehe unten). Das Medikament ist auf die Dauer recht kostspielig, so dass man eine weiterführende Diagnostik nur empfehlen kann. Sollten Sie Hinweise für eine allergische Beteiligung zeigen (erhöhte IgE-Werte, positiver Prick-Test usw.) kann Ihnen Ihr Arzt das Medikament dauerhaft verschreiben. Doch leider fehlt vielen Medizinern noch immer der Zugang zu Mastzell-assoziierten Erkrankungen ... Es werde Licht!