Darmpilze: Candida und Co. - Was sagt die Wissenschaft dazu?

Darmpilze wie bspw. Candida albicans: Sind sie ein wirkliches Problem bzw. stecken sie hinter den Beschwerden des Reizdarmsyndroms?
Bild: Jurec via pixelio.de

Das heutige Thema gehört seit dem Start dieses Blogs zu den meist angefragtesten Artikelwünschen überhaupt. Diesen Wunsch kann ich auch sehr gut nachvollziehen, denn kaum ein anderes Thema wurde und wird so kontrovers diskutiert. Während viele Heilpraktiker und naturmedizinisch-orientierte Ärzte Darmpilze, vor allem aber Candida albicans, als das absolute Übel darstellen und recht flink mit Antimykotika hantieren, finden sich seitens der Schulmediziner eher kritische bzw. abwartende Reaktionen. Ein typisches Beispiel letzterer Haltung ist das Statement: "Darmpilze und eben auch verschiedene Candidaspezies gehören zum normalen Darmökosystem. Auch gesunde Menschen sind Wirte dieser Organismen."

 

Dass die praktizierenden Ärzte allerdings nicht immer auf dem neuesten Stand der Forschung sind, haben wir beispielsweise lange Zeit an der Dünndarmfehlbesiedlung und auch der low-FODMAP-Diät beobachten können. Ist dies bei den Darmpilzen vielleicht ebenso der Fall?

Ein Grund für unsere Zurückhaltung auf dem Blog war, dass wir nicht einfach unsere Meinung zu dem Thema schreiben wollten, sondern dies wie gewohnt mit wissenschaftlichen Erkenntnissen zu untermauern suchten. Doch langsam aber sicher finden sich immer mehr Hinweise für die Bedeutung der Pilzkulturen in unserem Organismus. Die folgende Darstellung orientiert sich an dem Übersichtsartikel von Erdogan (nein, nicht der!) und Rao (2015).

 

 


Die bisherige Rolle von Candida und Co. in der Forschung

Schon seit mehreren Jahrzehnten ist bekannt, dass vor allem jene Patientenpopulationen mit Pilzinfektionen zu kämpfen haben, welche mit einer krankheits- oder medikamentenbedingten Immunsuppression leben müssen. Dazu gehören Betroffene von Krebs, HIV, aber auch nicht behandeltem Diabetes mellitus. Ein weiterer bedeutender Risikofaktor ist mehrfacher oder starker Einsatz von Antibiotika.

Generell fanden die Wissenschaftler in Untersuchungen heraus, dass etwa 70% der Gesamtbevölkerung über Darmpilze (vor allem der Candidaspezies) verfügen. Das bloße Vorfinden von verschiedenen Fungi im Gastrointestinaltrakt ist allerdings noch nicht mit einer tatsächlichen Infektion gleichzusetzen. Zu dieser kommt es im Regelfall erst, wenn die entgegenwirkenden Darmbakterien geschädigt werden (Antibiotika, Ernährung, chronische Stressoren) oder aber das Immunsystem nicht mehr leistungsfähig ist. Die tatsächlichen Infektionen betreffen in der Regel den oberen Verdauungstrakt (Mundhöhle, Magen, aber auch Dünndarm). Es kommt zu gastrointestinalen Beschwerden wie Durchfall, Blähungen, Unwohlsein.

 

SIFO: Small Intestinal Fungal Overgrowth

Durch neue Ergebnisse aus Studien mit Magen-Darm-Beschwerden ohne eine Immunsuppression formte sich in Anlehnung an das Konzept des Small Intestinal Bacterial Overgrowth Syndromes (engl. kurz SIBO, deutsch Dünndarmfehlbesiedlung) der Terminus Small Intestinal Fungal Overgrowth (SIFO).

Erste Fallberichte zeigten eine Überpopulation von verschiedenen Candidaspezies im Dünndarm auf und berichteten weiterhin auch eine Linderung oder gar Elimination der Bauchbeschwerden durch die Gabe von Antipilzmitteln.

Zwei Untersuchungen konnten sogar bereits Hinweise auf konkrete Fallzahlen geben: Die Forscher untersuchten Patienten mit chronischen Magen-Darm-Beschwerden und negativem Endoskopie-/Radiologiebefund auf SIFO. In der ersten Studien litten 24 von 150 Teilnehmer an SIFO und 32 von 150 an SIFO/SIBO. In der zweiten Arbeit aus einer anderen geografischen Region waren es 38 von 150, also immerhin noch knapp mehr als ein Viertel.

 

SIFO- bzw. Candidiasis-Symptome

Sehr interessant ist, dass die Forscher versuchen, den Begriff Candidiasis zu meiden und einen neuen Terminus zu etablieren. Grundsätzlich können auch andere Pilze an der Überpopulation beteiligt sein, aber Candida albicans stellt eindeutig den Löwenanteil.

 

Zu den häufigsten Symptomen, welche Patienten mit einer Candida albicans-Infektion berichten, gehören Durchfall, Bauchschmerzen, Völlegefühl und Flatulenzen, ebenso wie Übelkeit und teilweise Erbrechen. Ein großes Problem stellt natürlich die mangelnde Spezifität dieser Symptome dar, denn die Symptomscores der RDS-Patienten mit SIFO wichen kaum von jenen ohne Pilzinfektion ab.

 

Bei immungehemmten Patienten finden wir hingegen oft starke wässrige Durchfälle (oft im zweistelligen Bereich) und es kann zur Candida-Enterokolitis mit Erosionen kommen. Weiterhin besteht die Möglichkeit multiplen Organbefalls.

 

 

SIFO- bzw. Candida-Risikofaktoren

Einige der Risikofaktoren für die klassisch-beforschte Pilzinfektion hatte ich bereits angesprochen. Dazu gehören:

  1. Krebs
  2. HIV
  3. medikamentöse Immunsuppresion
  4. nicht oder unzureichend behandelter Diabetes
  5. Transplantationen
  6. Chemotherapie

Für die Patienten ohne die klassischen Risikofaktoren, welche unter RDS-vergleichbaren Beschwerden leiden, haben sich folgende Risikofaktoren herauskristallisiert:

  1. Wiederholte Antibiotikagaben
  2. Dauerhafte Nutzung von Protonenpumpenhemmern (zu wenig Magensäure)
  3. Verminderte Dünndarmmotilität (MMC)
  4. fehlende Verdauungsenzyme

Alle vier dieser Risikofaktoren finden sich auch bei der Dünndarmfehlbesiedlung (bakteriell).

 

Von Pilzen, Candida und Bakterien

Bis heute weiß die Wissenschaft noch zu wenig über die Pathophysiologie der Pilzinfektionen und wie letztere mit Bakterien im Dünn- und Dickdarm interagieren. Inzwischen wurden Hinweise gefunden, dass die Relation zu den bakteriellen Mitbewohnern je nach Spezies zwischen synergistisch, antagonistisch und symbiotisch variieren kann. So haben bspw. Laktobazillen die Fähigkeit Candida albicans in seinem Wachstum zu hemmen, während andere Bakterien mit dem Pilz eine Symbiose eingehen und sich gemeinsam mit ihm in Biofilmen (einer Art Festung an der Darmschleimhaut) verschanzen.

 

Candida schüttet u.a. Biomoleküle und Enzyme aus, welche die Pathogenese verstärken und den Pilz vor dem Zugriff des Immunsystems schützen. Interessanterweise konnten inzwischen Hinweise entdeckt werden, dass es eine Verbindung zwischen Darmpilzinfektionen und chronisch-entzündlichen Darmerkrankungen gibt. In ersten klinischen Studien verbesserten Antipilzmittel den histologischen Befund bei Morbus Crohn.

 

Diagnose einer Candida-Infektion

Der absolute Königsweg für die Diagnosestellung eines SIFO-Syndroms oder einer Candidiasis ist eine Dünndarm-Endoskopie mit Absaugung von Dünndarmflüssigkeit und anschließender Laboranalyse. Leider steht dieser Weg meist nur Studienteilnehmern offen.

Doch auch die klassische Stuhlanalyse mit Kultur der Pilze kommt in dem wissenschaftlichen Review gut weg, wobei die Autoren betonen, dass es noch keinen klaren etablierten Cut-Off gibt, man also noch nicht 100%ig eine Candidiasis von einer physiologischen Besiedlung unterscheiden kann.

 

 Hier finden Sie zwei Beispiele für klassische in Deutschland durchgeführte Diagnostik, nämlich Stuhlkultur und Messung via D-Arabinitol im Urin. Beides kann als Selbstdiagnostik durchgeführt werden.

Behandlung des Candida-Pilzes

Zur Behandlung einer Pilzinfektion werden verschiedene Medikamente eingesetzt. Der größte Teil verfügt über eine gute Evidenz bei hoher Sicherheit. Bitte sprechen Sie eine Medikation unbedingt mit Ihrem Arzt oder Heilpraktiker ab. Es kann zu fungiziden Wirkungen und unerwünschten Effekten kommen!

 

  • Azole, v.a. Fluconazol (das bewährteste Mittel gegen Candida albicans; wirkt nicht gegen Candida glabrate; kann auf andere Pilze sogar fungizid wirken; mögliche Nebenwirkungen sind Erbrechen und Durchfall; Standard: 400mg täglich für vier Wochen)
  • Nystatin (das in Deutschland wohl bekannteste Antimykotikum, welches sehr häufig selbst verordnet gegen Candidiasis eingesetzt wird; in einigen Studien reichte seine Wirkung nicht über die von Placebo hinaus in anderen war es Fluconazol deutlich unterlegen; ca. 7% der Candidakulturen waren auch im Labor resistent gegen Nystatin)
  • Laktobazillen und natürliche antifungale Substanzen wie Allicin (Hierzu fehlt noch vollständig die klinische Evidenz, wobei die Erkenntnisse auf Laborergebnissen beruhen; viele praktizierende Therapeuten berichten allerdings damit große Erfolge)

 

 

Oft wird von Heilpraktiker oder Betroffenen eine spezielle Zucker- und Kohlenhydratarme Kost empfohlen. Bisher existieren dazu allerdings keine wissenschaftlichen Erkenntnisse. Aufgrund der Fähigkeit der Darmpilze Biofilme zu bilden und sich an Umweltfaktoren wie Medikamente anzupassen, kann eine singuläre Therapie allerdings nicht als aussichtsreich angesehen werden. Einige Forscher geben zu bedenken, dass ein solches Vorgehen sogar die Hartnäckigkeit von Candida unterstützt, denn bei Nahrungsknappheit werden u.a. eher Biofilme gebildet. Der bessere Weg scheint hier eine moderate Kohlenhydratzufuhr zu sein (100-150g), wobei man Maßnahmen mehr Beachtung schenkt, welche ein gesundes Mikrobiom fördern (Prä- und Probiotika, Glutenverzicht, fermentierte Lebensmittel usw.)

 

Fazit

Die Naturheilkunde scheint einmal mehr ein Vorreiter gewesen zu sein. Eine Candida- oder Pilzinfektion v.a. des Dünndarmes scheint auch bei nicht-immungehemmten Patienten mit gastrointestinalen Beschwerden zu existieren (siehe oben angeführte Studien mit ca. 25%). Allerdings fehlen noch weitere Studien, um eine klare Differenzierung zwischen normaler Kolonisation und Überwucherung zu ermöglichen. Ein ganz ähnliches Dilemma besteht auch heute noch bei der Dünndarmfehlbesiedlung.

 

Auf jeden Fall sollten Ärzte und Therapeuten diesem Thema in Zukunft mehr Aufmerksamkeit schenken. Besonders spannend wären natürlich Untersuchungen, welche eine Behandlung von RDS-Patienten mit Antipilzmitteln erforschen. Haben diese Patienten RDS-Symptome, weil sie eine Pilzinfektion haben, oder aber haben sie Darmpilze weil bspw. durch das Reizdarmsyndrom ihre Motilität gestört ist?